Einkaufsallianzen – wettbewerbsschädlich?

19.05.2020

Einkaufskooperationen wie Coopernic (u.a. mit Ahold Delhaize), AgeCore (mit Colruyt, Intermarché und Edeka) oder Eurelec (E. Leclerc und die Rewe Group) prägen schon lange die Handelslandschaft im Lebensmittelsektor. Aufgrund offen ausgetragener Konflikte zogen sie im letzten Jahrzehnt zunehmend mediale Aufmerksamkeit auf sich. Zu den Bedenken, die immer wieder vorgebracht wurden, zählen mögliche Wettbewerbsbeschränkungen und höhere Preise für Verbraucher. Zugleich wird den Einkaufsallianzen auch die Verantwortung für allgemeinere Missstände zugeschoben, wie etwa ein gestörtes Mächtegleichgewicht im Handel, unangemessen niedrige Abnahmepreise gegenüber den Landwirten und ein hoher Preisdruck auf (Marken-)Hersteller. Die Europäische Kommission hat kürzlich einen vom Europäischen Parlament angefragten Bericht zu den Auswirkungen von Einkaufsallianzen und anderen Kooperationen auf Wertschöpfungsketten in Europa vorgelegt. Darin werden auch kartellrechtliche Aspekte prominent erörtert.

Vorteile von Einkaufsallianzen

Einkaufsallianzen sind horizontale Kooperationen von Einzelhandelsunternehmen, Einzelhandelsketten oder großen Einzelhandelskonzernen, die ihre Ressourcen und Aktivitäten bündeln, vor allem in Bezug auf die Produktbeschaffung.

  • Ziel der Einzelhändler ist eine effizientere Wertschöpfungskette, u.a. durch Transaktionskostenminimierung sowie durch das Teilen von Wissen und Know-how.

  • Auch Zulieferer können von effizienteren Wertschöpfungsketten profitieren, nämlich durch einheitliche Vertragsverhandlungen und geringere Logistikkosten. Darüber erschweren solche Allianzen es den Zulieferern, unterschiedliche Preise gegenüber verschiedenen Einzelhändlern durchzusetzen (sog. Nicht-Diskriminierungs-Effekt).

  • Den Verbrauchern kommen Einkaufsallianzen idealerweise in Form niedrigerer Preise zugute.

Wettbewerbliche Bedenken

Während die Kommission die genannten Vorteile und die erhöhte Wettbewerbsfähigkeit in einem zunehmend globalen Markt berücksichtigt, beleuchtet sie in ihrem Bericht zugleich drei Hauptbedenken, die durch Einkaufsallianzen entstehen können.

  • Zunächst führt die Kommission an, dass Einkaufsallianzen den Wettbewerb zwischen Einzelhändlern beschränken können, was wiederum negative Folgen für Zulieferer und Verbraucher haben kann. Dabei handelt es sich um horizontale Bedenken, die durch Artikel 101 AEUV aufgegriffen werden (Verbot „bezweckter“ und „bewirkter“ Wettbewerbsbeschränkungen).

  • Zudem sieht die Kommission die Gefahr des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung durch Praktiken wie Delisting, rückwirkende Rabatte, Entgeltverweigerung oder einseitige Risikoverlagerung, die vom Anwendungsbereich des Artikels 102 AEUV bzw. den entsprechenden nationalen Regelungen erfasst werden (einseitige Verhaltensweisen oder unlautere Handelspraktiken).

  • Schließlich könnten Einkaufsallianzen auch negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben, wobei das Streben nach einem einheitlichen europäischen Beschaffungsmarkt für Lebensmittel und Lebensmitteleinzelhandelsprodukte sowie die Auflockerung territorialer Lieferbeschränkungen grundsätzlich als positiv zu bewerten ist.

Im Ergebnis plädiert die Kommission für eine ausgeglichene und abwägende Herangehensweise, die sowohl die spezifischen Charakteristika der einzelnen Einkaufsallianzen berücksichtigt als auch die Besonderheiten der in Rede stehenden Praktiken. Dabei ist auch im Blickfeld zu behalten, dass Vorteile, die von den Allianzen erzeugt werden, umso eher an Verbraucher weitergegeben werden, je intensiver der nachgeschaltete Wettbewerb ist.

Horizontale Bedenken

In Bezug auf mögliche horizontale Wettbewerbsbedenken stellt sich die Kommission auf den Standpunkt, dass der enge Kontakt zwischen tatsächlichen und potentiellen Wettbewerbern im Rahmen einer Einkaufsallianz zu erhöhter Transparenz und einer größeren Gefahr von Preisabsprachen sowie wettbewerbswidrigem Informationsaustausch führen kann. Außerdem sei zu befürchten, dass Unternehmen sich über das legitime Maß hinaus koordinieren und absprechen. Darüber hinaus gebe es ein potentielles Risiko von Marktaufteilungsvereinbarungen, einer eingeschränkten Filialexpansionspolitik und koordinierter Produktionsbeschränkungen.

Da sowohl die Einkaufs- als auch die Absatzmärkte betroffen sein können, gelten entsprechende Bedenken nicht nur zum Nachteil der Zulieferer, sondern auch der Verbraucher. Wettbewerbsbehörden könnten sog. „Wasserbett-Effekte“ ins Auge fassen, die sich schädlich für kleinere Einzelhandelsunternehmen auswirken könnten. Der sog. „Wasserbett-Effekt“ beschreibt das Phänomen, wonach ein Zulieferer von schwächeren Abnehmern höhere Preise verlangt, um seine Preiszugeständnisse gegenüber stärkeren Abnehmern auszugleichen. Dies kann die Wettbewerbsfähigkeit schwächerer Abnehmer über kurz oder lang einschränken. Außerdem erläutert die Kommission in ihrem Papier das Risiko von sog. Spiraleffekten. Demnach kann besonders ein nachfragemächtiger Abnehmer die von ihm erzielten Einkaufsvorteile dazu nutzen, seine schwächeren Wettbewerber (die keine entsprechenden Einkaufskonditionen erzielen) im nachgelagerten Markt durch unschlagbare günstigere Angebote zu verdrängen.

Freistellungen

Horizontale Vereinbarungen können unter bestimmten Voraussetzungen freigestellt sein, wenn die erzielten Vorteile – wenigstens zu einem signifikanten Teil – an den Verbraucher weitergegeben werden. In ihren Leitlinien zu Artikel 101 AEUV erlaubt die Kommission ausdrücklich einen sog. „safe-harbour“ für Einkaufskooperationen mit einem gemeinsamen Marktanteil von maximal 15 %. Über dieser Schwelle findet eine Einzelfallbetrachtung statt: Je höher der kombinierte Marktanteil, desto unwahrscheinlicher ist es, dass erzielte Vorteile an den Verbraucher weitergegeben werden, d.h. desto eher ist eine entsprechende Vereinbarung unzulässig.

Ausblick und Bedeutung für andere Industriebereiche

Der Bericht der Europäischen Kommission beinhaltet aufschlussreiche Analysen von Einkaufsallianzen im Lebensmitteleinzelhandel und arbeitet zahlreiche positive Effekte heraus. Ein generelles Verbot solcher Kooperationen gibt es jedenfalls nicht, solange dadurch keine übermäßige Konsolidierung oder eine wettbewerbsschädliche Koordinierung erfolgt. Die kartellrechtlichen Fallstricke gilt es im Einzelfall zu vermeiden, indem die Vor- und Nachteile und die ökonomischen Auswirkungen einer beabsichtigten Kooperation vorab sorgfältig analysiert werden. Das Papier der Kommission enthält ökonomische Analysen, die über den Lebensmittel- und Agrarsektor hinaus hilfreich sein können und sich auf Allianzen in anderen Industriebereichen möglicherweise durchaus übertragen lassen. Einkaufsgemeinschaften sowie andere Arten von Kooperationen können durchaus positive (Wettbewerbs-)Effekte erzeugen, solange die Dynamik der vor- und nachgelagerten Märkte nicht negativ beeinflusst wird und die erzielten Vorteile an Verbraucher weitergegeben werden.

Der Bericht der Europäischen Kommission ist hier in voller Länge (auf englisch) verfügbar. BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen zu diesem Thema beobachten. Dr. Anna Huttenlauch steht Ihnen bei jeglichen Fragen zum Bericht sowie zu Einkaufsallianzen generell gerne zur Verfügung.

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