Ausrüstung der Bundeswehr im Lichte der Zeitenwende
Der russische Überfall auf die Ukraine hat zu einem Umdenken geführt. Plötzlich sollen umfangreiche Mittel bereitgestellt werden, mit denen die dringend benötigte Ausrüstung der Bundeswehr endlich realisiert werden kann. Diese Ausrüstung soll nun schnellstmöglich erfolgen. Erste Beschaffungsvorhaben sind sogar schon angestoßen worden.
Doch wie können die Mittel auch schnell ausgegeben werden? Reflexartig wird wiederum auf das Vergaberecht verwiesen, das einer zeitnahen Beschaffung im Wege stünde. Das war schon immer falsch. Eine rechtskonforme und rechtssichere Beschaffung ist möglich und vor dem Hintergrund der bestmöglichen Verwertung der Mittel im Sinne eines optimalen Preis-Leistungs-Verhältnisses auch dringend geboten. Der Bundeswehr stehen dabei unterschiedliche Wege zur Verfügung, wobei die rechtlichen Anforderungen teilweise sehr streng sind:
Abrufe aus Rahmenvereinbarungen sind grundsätzlich ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens möglich. Zu beachten ist dabei jedoch, dass die vertraglich und oder im Vergabeverfahren angegebene Höchstmenge nicht überschritten werden darf. Überdies dürfen Rahmenvereinbarungen – ebenso wenig wie jeder andere im Rahmen eines GWB-Vergabeverfahrens abgeschlossene Vertrag – während seiner Laufzeit nur in den engen Grenzen des § 132 GWB abgeändert werden. Danach sind insbesondere Änderungen des Vertragsgegenstands, Umfang der Leistung(en) und der Vergütung nur ausgesprochen eingeschränkt möglich.
Vergaberechtlich möglich ist es gemäß § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB zudem, in bereits abgeschlossenen Verträgen vorgesehene Optionen zu ziehen. Optionen können danach ohne Pflicht zur Durchführung eines neuerlichen Vergabeverfahrens ausgeübt werden, wenn sie klar, genau und eindeutig formuliert sind und Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen der Option enthalten.
Weiterhin ist es grundsätzlich auch denkbar, dass bestehende Verträge insbesondere hinsichtlich ihres Umfangs auf Grundlage des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 GWB abgeändert werden. Denn es ist vorstellbar, dass in Einzelfällen vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine Vertragsänderungen aufgrund von Umständen erforderlich werden, die der Bund nicht vorhersehen konnte. Klar ist dabei, dass der Bund den Krieg in der Ukraine nicht vorhergesehen hat und auch nicht vorhersehen konnte. Es liegt dann jedoch an ihm (auch) nachzuweisen, dass dieser Krieg (bzw. daraus resultierende Entwicklungen wie die Abgabe von Waffen an Dritte) und nicht ein anderer Umstand zur Erforderlichkeit der Vertragsänderung führt. Durch die Vertragsänderung darf allerdings nicht der Gesamtcharakter des Auftrags verändert werden.
Der Krieg in der Ukraine und die Bedrohungslage durch Russland gegenüber den NATO-Mitgliedern und die durch ihn ausgelösten Folgen und kurzfristigen Beschaffungsbedarfe waren und sind für die Beschaffungsstellen insgesamt und im Einzelnen nach Auffassung des BMWK unvorhersehbar (Rundschreiben des BMWK vom 13. April 2022). Aus diesem Grund dürfte bei Beschaffungsvorhaben mit unmittelbarem Bezug dazu regelmäßig die Voraussetzungen vorliegen, um sogenannte Dringlichkeitsvergaben – also Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb – gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) VSVgV / § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV durchzuführen. Das BMWK weist aber selbst darauf hin, dass etwas anderes dann gilt, wenn „ein Beschaffungsbedarf zwar sehr kurzfristig entstanden ist, aber erst zu einem Zeitpunkt in der Zukunft befriedigt werden muss“. Wenn die Voraussetzungen für eine Dringlichkeitsvergabe vorliegen, bleibt zu beachten, dass eine solche noch immer ein GWB-Vergabeverfahren darstellt und dementsprechend die anwendbaren vergaberechtlichen Vorschriften zu beachten sind. Dazu hat das OLG Rostock kürzlich festgestellt, dass „[a]uch in den Fällen der so genannten Notvergabe gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV […] der öffentliche Auftraggeber so viel Wettbewerb wie jeweils möglich sicherzustellen [hat]; er muss daher regelmäßig mehrere Angebote einholen und so mindestens „Wettbewerb light“ initiieren“ (OLG Rostock, Beschl. v. 11. November 2021 – 17 Verg 4/21). Dem hat sich das BMWK im oben genannten Schreiben explizit angeschlossen. Die Rechtsprechung ist auch auf die VSVgV übertragbar, weil die Vorschriften denselben Regelungszweck haben und inhaltsidentisch sind. Die VSVgV hält im Gegensatz zur VgV nur zusätzlich Fallbeispiele, wann dringliche Gründe in der Regel vorliegen können. BLOMSTEIN wird diese Fallgruppe in einem weiteren Briefing näher beleuchten.
Demgegenüber bietet der Art. 346 AUEV unseres Erachtens nur in Ausnahmefällen eine Grundlage für die „Beschleunigung“ eines Beschaffungsvorhabens. Das OLG Düsseldorf hat in einer jüngeren Entscheidung (Beschluss vom 18. August 2021 – VII-Verg 51/20) die engen Tatbestandsvoraussetzungen für eine Vergabe außerhalb des GWB-Vergaberechts auf Grundlage des Art. 346 AEUV erneut hervorgehoben. Das OLG hat in seiner Entscheidung bekräftigt, dass eine Geltendmachung dieser Ausnahmevorschrift nur zulässig ist, wenn die Bundeswehr im Einzelfall nachweisen kann, dass ein Verzicht auf ein Vergabeverfahren zur Wahrung der wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich ist. Insbesondere sei dabei auch darauf einzugehen, dass im Rahmen eines Vergabeverfahrens die entsprechenden Interessen nicht hätten geschützt werden können. Es genüge nicht, ein abstraktes Sicherheitsinteresse festzulegen. Vielmehr sei nachzuweisen, welche Sicherheitsinteressen durch das Beschaffungsvorhaben betroffen sind, welcher Zusammenhang zwischen ihnen besteht und dass das betroffene Sicherheitsinteresse auch wesentlich ist. Rein wirtschaftspolitische Erwägungen seien jedoch kein wesentliches Sicherheitsinteresse im Sinne der Vorschrift. Zudem fordert das Oberlandesgericht, dass die Beschaffung eine „Technologie mit hohem Innovationspotenzial und einem über den Verteidigungssektor hinausgehenden Anwendungsbereich“ betrifft. Ein solcher Nachweis wird nur in seltenen Fällen gelingen.
Unabhängig von den hier vorgeschlagenen Wegen der schnellen vergaberechtskonformen Ausrüstung der Bundeswehr, sollte unseres Erachtens Folgendes nicht außer Acht gelassen werden:
Das durch die Präsidentschaft von Donald Trump verstärkt in den Fokus gerückte Interesse an einer europäischen Souveränität und Unabhängigkeit von außereuropäischen Rüstungsherstellern sollte trotz des Bedarfs an einer schnellen Ausrüstung für jedes konkrete Beschaffungsvorhaben sorgfältig mitbedacht und abgewogen werden. Insbesondere beim – unstreitbar erstrebenswerten Ziel – des Kaufs von Produkten off-the-shelf und IT, sollte die mitunter langfristige Bindung an den jeweiligen Lieferanten unseres Erachtens nicht vergessen werden.
Zeitersparnisse lassen sich unserer Einschätzung nach weniger bei der Durchführung von Vergabeverfahren, sondern eher im Vorfeld und im Nachgang dazu heben. Insbesondere der Entwurf – mitunter ausgesprochen komplexer – „gold-geränderter“ Leistungsbeschreibungen kostet nicht nur enorm viel Zeit im Entwurf, sondern auch bei der Angebotserstellung durch die Bieter. Schließlich steht auch die Pflicht, Beschaffungsvorhaben mit einem Wert von mindestens EUR 25 Mio. durch den Haushaltsausschuss des Bundestages freizeichnen zu lassen, einer effizienten und sach-/fachorientierten Beschaffung im Wege.
BLOMSTEIN steht Ihnen gerne jederzeit für Diskussionen im Zusammenhang mit der Beschaffung im Bereich der Sicherheit und Verteidigung zur Verfügung.