Entwurf des Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz vorgelegt – eine kritische Würdigung
Am 21. Juni 2022 hat das Bundeskabinett dem Bundestag eine „Formulierungshilfe“ für den Entwurf eines Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes (BwBBG-E) vorgelegt. Das Gesetz soll oberhalb der Schwellenwerte insbesondere auf alle Aufträge über die Lieferung von Militärausrüstung i.S.d. § 104 Abs. 2 GWB anwendbar sein, die der „unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr“ dienen. Es soll bis zum 31. Dezember 2025 befristet werden und auch für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits begonnene Vergabeverfahren gelten.
Das BwBBG-E hat zwei Hauptinhalte: Die Ergänzung von Vorschriften im Zusammenhang mit multinationalen Beschaffungsvorhaben (dazu unter 1) und eine Modifikation des vergaberechtlichen Rechtsschutzes im Vergleich zu den sonst geltenden Regelungen (dazu unter 2).
Daneben enthält der Entwurf noch weitere Änderungen, von der hier nur § 4 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 5 hervorgehoben seien. Beide Vorschriften ermöglichen – aus vergaberechtlicher Perspektive ausgesprochen interessant – den Ausschluss eines Unternehmens aus Vergabeverfahren, das in einem Staat ansässig ist, dass nicht Mitglied des GPA ist. Nach einer jüngst in einem ähnlichen Kontext ergangenen Entscheidung des OLG Düsseldorf (VII-Verg 54/20) ist eine solche Vorschrift unionsrechtlich nicht zulässig.
1) Änderungen zu multinationalen Beschaffungsvorhaben
Das BwBBG-E enthält an verschiedener Stelle Vorschriften, die vorgeblich der Klarstellung des vergaberechtlichen Rahmens bei multinationalen Beschaffungsvorhaben dienen. Tatsächlich wird bei diesen Regelungen jedoch zu klären sein, ob sie gegen zugrundeliegendes Europarecht verstoßen:
§ 3 Abs. 6 des BwBBG-E enthält eine Ergänzung der Reglungen zur Beteiligung Deutschlands an Beschaffungsvorhaben, die von internationalen Organisationen wie der NATO für mehrere Länder durchgeführt werden. Die Formulierung ist unionsrechtlich jedoch in hohem Maße angreifbar. Denn nach der zugrundeliegenden Richtlinienvorschrift kommt es für die Zulässigkeit einer vergaberechtsfreien Beschaffung darauf an, dass die internationale Organisation für „ihre Zwecke“ beschafft. Der neue Verweis auf „satzungsgemäße Zwecke“ soll internationalen Organisationen ermöglichen, unter Umgehung des EU/GWB-Vergaberechts, für die Zwecke ihrer Mitgliedstaaten zu beschaffen. Das ist so in der zugrundeliegenden Richtlinie jedoch nicht angelegt.
Ebenso aus europarechtlicher Perspektive kritisch ist § 4 Abs. 1 Nr. 3 BwBBG-E. Danach sollen bei einem Beschaffungsvorhaben wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland auch dann betroffen sein, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen eines anderen EU-Mitgliedstaats oder der EU selbst betroffen sind. Das stellt die Entstehungsgeschichte des zugrundeliegenden Art. 346 AEUV auf den Kopf und ist mit dessen Sinn und Zweck unvereinbar. Denn Art. 346 AUEV soll (nur dann) von der Anwendbarkeit von Unionsrecht befreien, wenn dem die Sicherheitsinteressen des jeweiligen Mitgliedstaates entgegenstehen.
Erwähnenswert ist schließlich die etwas verunglückte Regelung in § 4 Abs. 2 Nr. 5 BwBBG-E. Danach liegt ein zur Direktvergabe berechtigendes technisches Alleinstellungsmerkmal (auch) dann vor, wenn die betreffende Ausrüstung bereits von einem anderen Staat genutzt wird und es „die einzige ist, die die gemeinsame Durchführung des öffentlichen Auftrags ermöglicht“. Wahrscheinlich ist mit „öffentlicher Auftrag“ hier ein gemeinsamer militärischer Auftrag gemeint. Unionsrechtskonform ist die Regelung jedenfalls nur dann, wenn der öffentliche Auftraggeber die Tatbestandsvoraussetzungen der Ausnahmevorschrift weiterhin einzelfallbezogen prüft. Denn das kann auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht gesetzlich abbedungen werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die jeweiligen Regelungen einer Prüfung durch die Nachprüfungsinstanzen unterzogen werden und wie sich der EuGH – dem ein solcher Fall wahrscheinlich vorzulegen wäre – in diesen Fragen positionieren wird.
2) Einschränkung Rechtsschutz
Der wesentlichste Block der Änderungen betrifft den vergaberechtlichen Rechtsschutz. Nachdem 2020 noch moderate Ergänzungen im Gesetz zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und Sicherheit vorgenommen worden waren, lassen sich die jetzt vorgeschlagenen Änderungen nicht anders als Einschränkungen klassifizieren:
§ 3 Abs. 4 des BwBBG-E ermöglicht erhebliche Einschränkungen des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige de-facto Vergaben. Danach können die Nachprüfungsinstanzen einen vergaberechtswidrig abgeschlossenen Vertrag auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nicht – wie bislang zwingend vorgesehen – für unwirksam erklären, sondern alternative Sanktionen erlassen, insbesondere eine Geldsanktion. Hier stellt sich die Frage, ob diese Regelung mit Unionsrecht vereinbar ist. Das Unionsrecht erlaubt zwar andere „abschreckende“ Sanktionen als die Feststellung der Unwirksamkeit. Beim BwBBG-E ist bei der Geldsanktion aber nicht geregelt, wohin dieses Geld fließt. Bleibt es im Bundeshaushalt, kann kaum von einer abschreckenden Sanktion gesprochen werden.
Eine ganz erhebliche Änderung der bestehenden Rechtslage sieht zudem § 6 Abs. 5 BwBBG-E vor. Danach müssen die in der zweiten Instanz zuständigen Oberlandesgerichte die Verfahren über die sofortige Beschwerde innerhalb von sechs Monaten abschließen. Derzeit dauert der Rechtsschutz vor der zweiten Instanz aufgrund der Überlastung der Gerichte eher neun bis zwölf Monate.
Weiterhin weitet der Entwurf die Fallgruppen aus, in denen die Nachprüfungsinstanzen das vorläufige Zuschlagsverbot aufheben oder gar nicht erst erlassen können. Danach überwiegen die besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen auch dann in der Regel, wenn der Auftrag unmittelbar der Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr dient (§5 Abs. 3 und § 6 Abs. 3 BwBBG-E). Bei Kooperationen mit einem weiteren Staat überwiegen die Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zudem auch dann in der Regel, wenn die Durchführung anderenfalls von dem Partnerstaat abgebrochen werden würde.
Schließlich sieht der Entwurf vor, dass Nachprüfungsverfahren auch „zur Beschleunigung“ ohne mündliche Verhandlung abgeschlossen werden können und mündliche Verhandlungen auch digital durchgeführt werden können (§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 2 BwBBG-E).
3) Folgen
Aus dem obenstehenden ergibt sich, dass die Beschleunigung der Beschaffung überwiegend mit einer Kombination aus Direktvergaben und der Verkürzung des vergaberechtlichen Rechtsschutzes erreicht werden soll. Bei einzelnen Reglungen ist fraglich, ob dabei der Rahmen des europarechtlich Zulässigen überschritten worden ist. Jedenfalls führt das BwBBG-E damit aber zu (noch) mehr Intransparenz und (noch) weniger Wettbewerb. Es besteht das Risiko, dass zweifelhafte Vergabepraktiken (wie zum Beispiel bei der Beauftragung der Tanker) künftig noch weniger kontrolliert werden.
Die eigentlichen Ursachen für die Probleme bei der Beschaffung im Verteidigungsbereich werden derweil nicht angegangen. Dass der Haushaltsausschluss des Bundestags jedes Beschaffungsvorhabens oberhalb von EUR 25 Millionen gesondert freigeben muss, wurde in § 5 Abs. 3 des „Gesetzes zur Errichtung eines ‚Sondervermögens Bundeswehr‘“ erstmals gesetzlich kodifiziert. Zuvor wurde es vom Haushaltsausschuss nur in einem Protokollvermerk in jeder Legislaturperiode neu etabliert. Soweit ersichtlich, wird auch Verfahren zur Bedarfsermittlung und -deckung des BMVg (CPM) im Hinblick auf das Erstellen von Leistungsbeschreibungen keiner Überarbeitung unterzogen.
Klar ist: Das BwBBG-E wird in dieser Form wahrscheinlich so kommen. Politischer Widerstand gegen den Entwurf ist mit Ausnahmen von Fachkreisen wie dem BDSV und dem DVNW nicht ersichtlich. BLOMSTEIN wird die Entwicklungen rund um Auftragsvergaben im Bereich der Sicherheit und Verteidigung weiter beobachten und steht bei Fragen oder Diskussionsbedarf gerne zur Verfügung.