Neuerungen in der Vergaberechts-Compliance
Mit dem Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes (VerSanG) hat die Bundesregierung ihren lang gehegten Plan zur Einführung von Unternehmenssanktionen in die Tat umgesetzt. Hintergrund der Gesetzesnovelle ist, dass Verbände für ihr Fehlverhalten aktuell nur nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht belangt werden können. Das bedeutet unter anderem, dass die Behörde nach eigenem Ermessen entscheiden kann, ob sie dieses Fehlverhalten verfolgt. Zudem sind die Bußgelder, die nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz verhängt werden können, bei 10 Mio. EUR gedeckelt, egal wie groß das Unternehmen ist.
Das Verbandssanktionenrecht soll hier Abhilfe schaffen und eine angemessene Ahndung von Unternehmenskriminalität ermöglichen. Daneben sollen mit dem VerSanG ein Verbandssanktionenregister eingeführt und rechtssichere Anreize für Compliance-Maßnahmen geschaffen werden. Die Einführung des Verbandssanktionenrechts bringt auch Änderungen in anderen Rechtsgebieten mit sich. Dazu gehört auch das Vergaberecht. Hiermit befasst sich das vorliegende Briefing.
Auswirkungen auf die Ausschlussgründe gem. §§ 123, 124 GWB
Die Regelungen über den Ausschluss ungeeigneter Bieter werden durch den Entwurf des VerSanG nicht wesentlich geändert. Lediglich § 123 GWB, der den zwingenden Ausschluss regelt, wird angepasst. Künftig können Bieter auch aufgrund der Verhängung einer Verbandssanktion ausgeschlossen werden. Bisher war dies nur möglich, wenn eine ordnungswidrigkeitenrechtliche Geldbuße gegen das Unternehmen verhängt wurde oder wenn diesem das Fehlverhalten einer ihrer Leitungspersonen zugerechnet werden konnte.
An dieser Stelle, der Zurechnung von Fehlverhalten der Mitarbeiter, liegt ein wichtiger Unterschied zwischen dem VerSanG und § 123 GWB. Denn eine Verbandsverantwortlichkeit entsteht auch, wenn die Tat nicht von einer Leitungsperson begangen wurde, sofern diese in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Verbands handelte und Leitungspersonen die Tat mit angemessenen Vorkehrungen zumindest wesentlich hätten erschweren können. Die Zurechnungsnorm im VerSanG ist damit erkennbar weiter als die in § 123 Abs. 3 GWB, der nur Fehlverhalten von Leitungspersonen zurechnet. Unionsrechtlich ist die Gesetzesänderung aber unproblematisch. In der Praxis könnte dies zu mehr Ausschlüssen führen, da bisher gerade die Zurechnung häufig Schwierigkeiten bereitete.
§ 124 GWB bleibt unverändert. Das bedeutet jedoch nicht, dass Verbandstaten nicht gleichzeitig fakultative Ausschlussgründe darstellen können. Schließlich sind Unternehmen nicht nur für Vermögens- oder Steuerdelikte verantwortlich, sondern etwa auch für Umweltdelikte oder Straftaten gegen den Wettbewerb. Erforderlich ist nur, dass durch die Tat Pflichten des Verbands verletzt wurden oder der Verband bereichert werden sollte.
Wurde gegen ein Unternehmen also z.B. eine Verbandssanktion wegen Submissionsbetrugs gem. § 298 StGB verhängt, könnte es aufgrund wettbewerbs-beschränkender Vereinbarungen gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ausgeschlossen werden. Eine rechtskräftige Entscheidung über die Verhängung einer Verbandssanktion genügt auch künftig dem Beweismaßstab der Norm („nachweislich“). Die Frage, ob auch Ermittlungsverfahren oder Zeugenaussagen ausreichen, stellt sich dagegen weiterhin.
Auswirkungen auf das Wettbewerbsregister
Wie bereits erwähnt soll mit dem VerSanG auch ein Verbandssanktionenregister geschaffen werden. Dabei handelt es sich ein Informationssystem, das die Justiz, vergleichbar mit dem Bundeszentralregister, bei der Sanktionszumessung unterstützen soll. Das Verbandssanktionenregister darf ausdrücklich nicht für die Zwecke eines Vergabeverfahrens konsultiert werden. Hierfür müssen öffentliche Auftraggeber auf das noch zu schaffende Wettbewerbsregister zugreifen. Schließlich verfolgt das Wettbewerbsregister nicht nur einen anderen Zweck, nämlich die Erleichterung der Eignungsprüfung; es sieht im Gegensatz zum Verbandssanktionenregister auch die Möglichkeit einer vorzeitigen Löschung bei Selbstreinigung vor. Die beiden Register stehen künftig also nebeneinander.
Aus dem Entwurf des VerSanG ergeben sich jedoch auch Änderungen des Wettbewerbsregistergesetzes (WRegG). So werden künftig neben den bisher schon einzutragenden rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen, strafgerichtlichen Verurteilungen und Strafbefehlen auch rechtskräftige Entscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen eingetragen. Die einzutragenden Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bleiben gleich.
Hier werden erneut die Zurechnungsnormen in VerSanG und GWB relevant. Denn aufgrund der unterschiedlichen Regelungen können Entscheidungen über die Verhängung einer Verbandssanktion ins Wettbewerbsregister eingetragen werden, obwohl sie nicht zu einem Ausschluss nach § 123 GWB geführt hätten. Das ist immer dann der Fall, wenn die Verbandsverantwortlichkeit nicht auf dem Handeln einer Leitungsperson beruht, da deren Verhalten dem Unternehmen nur nach dem VerSanG, nicht aber nach § 123 Abs. 3 GWB vergaberechtlich zugerechnet werden kann. In diesen Fällen wird die Entscheidung in das Wettbewerbsregister eingetragen, ohne dass eine vergaberechtliche Zurechnung geprüft werden muss.
Im Entwurf einer Wettbewerbsregisterverordnung (WRegVO), die Voraussetzung für die Inbetriebnahme des Wettbewerbsregisters ist, ist die Eintragung von Verbandssanktionen noch gar nicht geregelt. Vorgesehen ist nur allgemein, dass die Behörden bezüglich der einzutragenden Tat ihre rechtliche Bezeichnung und die Tatzeit übermitteln. Aus dem Wettbewerbsregister ist es dem Auftraggeber damit praktisch nicht möglich zu erkennen, worauf die Verbandsverantwortlichkeit beruht. Eigenständige Nachforschungen werden den allermeisten Auftraggebern häufig unmöglich oder unzumutbar sein. Es bleibt also nur zu hoffen, dass diese Spannung noch beseitigt wird.
Compliance-Maßnahmen und Selbstreinigung
Das VerSanG sieht starke Anreize für Investitionen in Compliance-Maßnahmen vor. Diese können zunächst bei der Bemessung der Verbandsgeldsanktion Berücksichtigung finden. Zu den Umständen, die das Gericht in seine Abwägung einbezieht, gehören demnach das Bemühen des Unternehmens, die Tat aufzudecken und den Schaden wiedergutzumachen sowie die ergriffenen Vorkehrungen zur Vermeidung und Aufdeckung von Verbandstaten.
Hierin liegt auch der wesentlichste Unterschied zur vergaberechtlichen Selbstreinigung. Zwar sind auch im Rahmen von § 125 GWB Aufklärung, Schadenswiedergutmachung und Vorkehrungen zur Vermeidung künftigen Fehlverhaltens erforderlich. Ein Bemühen reicht dort aber nicht aus. Vielmehr verlangt das Vergaberecht den Ausgleich aller Schäden, eine aktive Zusammenarbeit mit den Behörden (und zum Teil dem öffentlichen Auftraggeber) sowie technische, organisatorische und personelle Maßnahmen zur Vermeidung künftigen Fehlverhaltens. Das Vergaberecht stellt also diesbezüglich höhere Anforderungen an die zu ergreifenden Compliance-Maßnahmen.
Anders ist es hingegen bei internen Untersuchungen, auf die das VerSanG einen besonderen Fokus legt und die eine Milderung der Verbandssanktion bewirken können. An dieser Stelle stellt das VerSanG möglicherweise höhere Anforderungen als die der vergaberechtlichen Selbstreinigung. § 125 GWB setzt zwar eine Aufklärung voraus, die häufig nur mit internen Untersuchungen umsetzbar ist. Allerdings enthält das Gesetz hierzu keine explizite Vorgabe. Demgegenüber muss das Unternehmen zur Milderung der Verbandssanktion unter anderem wesentlich zur Tataufklärung beitragen, ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Behörden kooperieren und diesen das Ergebnis der Untersuchung einschließlich aller wesentlichen Dokumente zur Verfügung stellen. Unklar ist noch, wie sich diese internen Untersuchungen zu vergaberechtlichen Selbstreinigungsmaßnahmen verhalten. Schließlich ist auch hier die aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber vorgesehen. Vor dem Hintergrund der wesentlichen Rechtsfolgen ist dies auch angemessen. Ob allerdings interne Untersuchungen gemäß VerSanG auch die Voraussetzungen der aktiven Zusammenarbeit nach
§ 125 Nr. 2 GWB erfüllen, bleibt abzuwarten. Für eine vergaberechtliche Selbstreinigung führt daher wohl auch künftig kein Weg an § 125 GWB vorbei.
Es nicht ausgeschlossen, dass sich die Entwürfe des VerSanG und der WRegVO noch ändern. Schließlich müssen sie jeweils noch Bundestag und Bundesrat passieren. BLOMSTEIN beobachtet die weiteren Entwicklungen und wird über sie informieren. Wenn Sie Fragen zu den potenziellen Auswirkungen der Vorhaben auf Ihr Unternehmen oder Ihre Branche haben, stehen Ihnen
Dr. Pascal Friton und Dr. Christopher Wolters jederzeit gern zur Verfügung.