(Noch) Mehr Kontrolle beim Erwerb von Unternehmen im Gesundheitsbereich (15. Änderung der AWV)
Mit der 15. Änderung der AWV wird das BMWi seine Kontrolle beim Erwerb deutscher Unternehmen durch EU-ausländische Unternehmen in Kürze erweitern. Die Änderung ist eine unmittelbare Reaktion der Bundesregierung auf die Corona-Krise, da sie insbesondere den Schutz weiter Teile des Gesundheitssektors betrifft. Dieser Entwicklung dürfte auch der Fall des Tübinger Unternehmens CureVac Vorschub geleistet haben, bei dem ein Kauf aus den USA im Raum stand und sich die Frage einer Untersagungsbefugnis stellte. Eine umfassende Erweiterung und Anpassung der Investitionskontrolle im Außenwirtschaftsrecht ist demnächst mit der 16. Änderungsverordnung der AWV zu erwarten. Diese dient vorwiegend der einheitlichen Umsetzung der im April 2019 in Kraft getretenen Verordnung (EU) 2019/452 (EU-Screening-Verordnung) und der Anpassung an die bereits am 8. April 2020 vom Bundeskabinett verabschiedeten AWG-Novelle. Da letztere derzeit noch in den Ausschüssen im Bundestag diskutiert wird, hat das BMWi die aus seiner Sicht besonders dringlichen Anpassungen vorgezogen.
Änderungen für den Gesundheitssektor durch die neue AWV
Die zentrale Änderung ist die Hinzufügung fünf neuer Regelbeispiele von unternehmerischen Tätigkeiten im Gesundheitssektor, bei denen im Rahmen der sektorübergreifenden Prüfung nach § 55 Abs. 1 S. 2 AWV eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nahe liegt. Es handelt sich um inländische Unternehmen, die
persönliche Schutzausrüstung (Nr. 8),
wesentliche Arzneimittel (Nr. 9),
Medizinprodukte gegen lebensbedrohliche und hochansteckende Infektions-krankheiten (Nr. 10) oder
In-Vitro-Diagnostika (Nr. 11)
entwickeln, herstellen oder vertreiben. Die Beschreibung dieser Unternehmen ist dabei sehr weit gefasst, denn auch Herstellungsanlagen und Technologien für die Entwicklung und Herstellung der oben bezeichneten Produkte sind den Unternehmen gleichgestellt (§ 55 Abs. 1 S. 3 AWV). Für die Annahme einer Gefährdung reicht es aus, wenn nur ein abgrenzbarer Teil oder wesentliche Betriebsmittel des Unternehmens Bestandteile des Vertrags sind (§ 55 Abs. 1a AWV).
Weiterhin stellt das BMWi Leitlinien für die investorenbezogene Prüfung einer Gefährdung auf. So wird insbesondere berücksichtigt, ob
die Regierung eines Drittstaats an dem Erwerb beteiligt ist,
ob der Erwerber bereits an Aktivitäten beteiligt war, die nachteilige Auswir-kungen auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung hatten, und
ob ein erhebliches Risiko bestimmter Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten besteht
(§ 55 Abs. 1b AWV). Die Berücksichtigung staatlicher Einflussnahme spielt in der gegenwärtigen Praxis insbesondere bei Investitionen aus der Volksrepublik China eine Rolle. Die neue Regelung löst die praktischen Probleme allerdings nicht. Während eine staatliche Einflussnahme – unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls – eine Gefährdung indizieren mag, muss jedenfalls die Möglichkeit bestehen, dass das Unternehmen das Gegenteil beweist.
Zusätzliche Erweiterung auf Unternehmen der Kommunikationsinfrastruktur sowie der Gewinnung oder Verarbeitung von Rohstoffen
Neben dem Gesundheitssektor wird das BMWi in Umsetzung der EU-Screening-Verordnung auch zwei andere systemrelevante Bereiche unter seine Kontrolle stellen. Zum einen sind Unternehmen betroffen, die Dienstleistungen erbringen, die zur Sicherstellung der Störungsfreiheit und Funktionsfähigkeit staatlicher Kommunikationsinfrastrukturen erforderlich sind (§ 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 AWV). Andererseits sind Unternehmen erfasst, die Rohstoffe oder deren Erze gewinnen oder weiterverarbeiten (§ 55 Abs. 1 S. 2 Nr. 12 AWV).
Verschärfte Kontrolle bei Erwerb von Unternehmen nach dem AWG
Die Erweiterung des Katalogs führt für die neu aufgelisteten Unternehmen ab Inkrafttreten der neuen AWV dazu, dass der Anteilserwerb von mindestens 10 Prozent dieser Unternehmen durch einen unionsfremden Erwerber nun meldepflichtig ist und einer umfassenden Prüfung durch das BMWi unterliegt. Mit Inkrafttreten der AWG Novelle, die in wenigen Wochen erwartet wird, wird das Vollzugsgeschäft darüber hinaus zivilrechtlich schwebend unwirksam sein. Daneben werden bestimmte, sanktionsbewehrte Handlungsverbote bestehen.
Fazit
Die 15. Änderung des AWV ist zwar als direkte Reaktion auf die Corona-Krise zu sehen. Dennoch folgt sie der bereits im November 2019 von Bundeswirtschaftsminister Altmaier angekündigten Industriestrategie 2030, welche weitere Verschärfungen der Investitionskontrolle vorsieht. Es bleibt abzuwarten, ob durch die verschärften Kontrollen die Attraktivität Deutschlands als liberaler Investitionsstandort (noch) weiter leiden wird (siehe hierzu auch unser Briefing vom 8. April 2020). Für die Praxis bedeuten die Änderungen, dass die Bedeutung der außenwirtschafsrechtlichen Investitionskontrolle im Rahmen von Transaktionen weiter zunehmen wird. Die Verfahrensdauer wird sich voraussichtlich verlängern. Das gilt es im Zeitplan der Transaktion zu beachten.
BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen beobachten und darüber informieren. Wenn Sie Fragen zu den potenziellen Auswirkungen der Änderungen im Außenwirtschaftsrecht auf Ihr Unternehmen oder Ihre Branche haben, stehen Ihnen Dr. Roland M. Stein und Dr. Leonard von Rummel jederzeit gern zur Verfügung.