Am 20. Juli 2020 hat die Europäische Kommission eine Mitteilung über den Schutz vertraulicher Informationen durch nationale Gerichte in Verfahren zur privaten Durchsetzung des EU-Wettbewerbsrechts veröffentlicht. Sie soll nationalen Gerichten die Orientierung beim Umgang mit vertraulichen Informationen in Kartellschadensersatzverfahren erleichtern.
Kartellverstöße führen zu erheblichen Schäden für Unternehmen, Verbraucher und letztlich die gesamte Volkswirtschaft. Besonders die Zahl sog. Follow-On-Klagen – also Schadensersatzklagen von Geschädigten eines Kartellverstoßes nach Beendigung des Bußgeldverfahrens – hat in letzter Zeit stetig zugenommen. Bei der gerichtlichen Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs ist der Zugang zu Beweismitteln entscheidend. Gerade in Kartellschadensersatzprozessen beinhalten entscheidungserhebliche Informationen aber häufig Geschäftsgeheimnisse und sind damit vertraulich. Dieser Umstand darf die Anspruchsdurchsetzung allerdings nicht vereiteln. Gemäß der Kartellschadensersatzrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Beklagte oder Dritte zur Offenlegung eben solcher vertraulicher Informationen verpflichtet werden können, wenn diese die Plausibilität des geltend gemachten Anspruches stützen, für diesen relevant sind und der Offenlegungsantrag verhältnismäßig ist. Außerdem muss das Gericht die begehrten Informationen als sachdienlich für die Klage erachten. Auf der anderen Seite muss das Gericht wirksame Maßnahmen zum Schutz von vertraulichen Informationen anordnen.
In diesem Spannungsfeld soll die neue Mitteilung nun für mehr Klarheit sorgen, zumal sich die Rechtslage von Mitgliedsstaat zu Mitgliedsstaat erheblich unterscheiden kann.
Inhalt
Die Mitteilung ist für die nationalen Gerichte nicht bindend. Sie soll einen Überblick über die verschiedenen Schutzmöglichkeiten und deren Effektivität geben. Sie bezieht sich nicht allein auf den Schutz vertraulicher Informationen in Kartellschadensersatzverfahren – in der Praxis wohl ihr primärer Anwendungsbereich –, sondern gilt auch für Feststellungs- und Unterlassungsklagen. Sie enthält eine Reihe möglicher Maßnahmen, die nationale Gerichte je nach ihrer Verfahrensordnung ergreifen können, um den Schutz vertraulicher Informationen in Gerichtsverfahren zu gewährleisten. Bei der konkreten Wahl empfiehlt sie zunächst, die besonderen Umstände des Einzelfalls, die Art der angeforderten Information, den Umfang der Offenlegung und die Beziehung der Parteien untereinander zu berücksichtigen. Im Anschluss geht die Mitteilung auf die verschiedenen Schutzmaßnahmen, ihre spezifische Eignung und konkrete und ihre konkreten Einsatzzwecke ein:
Vertraulichkeitskreis
Ein sog. Vertraulichkeitskreis kann ein wirksames, effizientes und insbesondere verfahrensökonomisches Mittel zum Schutz vertraulicher Informationen bei gleichzeitiger Wahrung der vollständigen Beweiskraft der Informationen sein. Informationen werden hier ausschließlich für einen bestimmten, begrenzten Personenkreis freigegeben. Langwierige Dokumentschwärzungen entfallen damit in der Regel. Die Mitteilung enthält Hinweise für die Organisation und Zusammensetzung solcher Vertraulichkeitskreise, die Zugangsrechte einzelner Mitglieder, für eine mögliche schriftliche Verpflichtung der Mitglieder gegenüber dem Gericht und für die allgemeine Logistik und Organisation.
Redaktionelle Überarbeitungen
Redaktionelle Überarbeitungen wie z.B. Schwärzungen sind ebenfalls geeignet, besonders für Marktdaten, die durch repräsentative Spannen ersetzt werden können. Angesichts des damit verbundenen Aufwands hält die Kommission die Maßnahme eher für Fälle geeignet, in denen die Menge vertraulicher Informationen begrenzt ist. Im Interesse einer effizienten Bearbeitung von Anträgen auf redaktionelle Überarbeitungen empfiehlt die Kommission nationale Leitlinien.
Bestellung eines Sachverständigen
Auch die Bestellung eines Sachverständigen kann eine wirksame Schutzmaßnahme an, vor allem für besonders sensible Informationen, die von ihm sinnvoll aggregiert werden können. Gerade bei einer großen Anzahl potentiell vertraulicher Dokumente kann es für das Gericht effizienter sein, einen Sachverständigen zur Vertraulichkeit Stellung nehmen zu lassen.
Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit, Veröffentlichung der Entscheidung und Zugang zu Gerichtsarchiven
Während der Verhandlung sowie nach der Entscheidung spielt der Umgang mit vertraulichen Informationen häufig immer noch eine Rolle. Auch für diesen Fall hat die Kommission sinnvolle Mittel beschrieben, wie etwa die Option, bestimmte Verhandlungsabschnitte unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu führen oder zumindest die Bezugnahmen auf vertrauliche Informationen in der öffentlichen Verhandlung auszuschließen. Für den Zeitraum nach der Entscheidung hält die Kommission die Veröffentlichung einer nicht-vertraulichen Entscheidungsversion und einen beschränkten Zugang zur Gerichtsakte für geeignete Schutzmaßnahmen.
Fazit
Die Mitteilung ist in Teilen sicher geeignet, mitgliedstaatlichen Gerichten Orientierungshilfen für den Schutz vertraulicher Informationen zu geben. Besondere bezüglich des Einsatzes von Vertraulichkeitskreisen und der redaktionellen Überarbeitung enthält sie ausführliche Vorschläge. Inwieweit diese tatsächlich einen Mehrwert gegenüber der bereits etablierten Praxis bieten, bleibt abzuwarten.
BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen beobachten und darüber informieren. Wenn Sie Fragen zum Schutz von vertraulichen Informationen in Kartellschadensersatzverfahren oder zur Geltendmachung oder Abwehr von Kartellschadensersatzansprüchen haben, stehen Ihnen Dr. Anna Huttenlauch und Rita Zuppke jederzeit gern zur Verfügung.
Als PDF lesen: 200727 Briefing Mitteilung KOM Schutz vertraulicher Informationen