EuGH: Stromsteuerbefreiungen für die Stromerzeugung auch für vor- und nachgelagerte Vorgänge
Mit Urteil vom 9. März 2023 in der Rechtssache C-571/21 hat der EuGH klargestellt, dass Stromproduzenten für eine Vielzahl von Vorgängen, die der eigentlichen Stromerzeugung vor- und nachgelagert sind, gemäß unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts Anspruch auf Stromsteuerbefreiung haben. Damit setzt der EuGH der bisher vorherrschenden Auffassung in der Zollverwaltung und Rechtsprechung Grenzen.
Wie weit reicht die Stromsteuerbefreiung für Strom zur Stromerzeugung?
Gegenstand des Verfahrens ist die stromsteuerrechtliche Besteuerung der Tagebaue und Kohlekraftwerke. Die Behörde vertritt die Ansicht, dass Strom, der für Gewinnung, Aufbereitung und Transport der Braunkohle sowie Entsorgung der Asche nach der Verstromung verwendet wird, d.h. dem konkreten technologischen Verstromungsvorgang vor- oder nachgelagert ist, nicht der Befreiung unterliegt. Das Finanzgericht entschied, das Verfahren zu unterbrechen, um dem EuGH Gelegenheit zur Konkretisierung der unionsrechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiungen zu geben.
Art. 14 Abs. 1 Buchst. a S. 1 der Richtlinie 2003/96 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen (EnergieStRL) verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten wörtlich, Steuerbefreiungen in Bezug auf Stromverbräuche zu gewähren, die „bei der Stromerzeugung“ (Alternative 1) oder „zur Aufrechterhaltung der Fähigkeit, elektrischen Strom zu erzeugen“ anfallen (Alternative 2). Beide Normen werden durch § 9 Abs. 1 Nr. 2 StromStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 StromStV in deutsches Recht umgesetzt.
Aufbereitung des Energieträgers für die Verstromung unterliegt der Steuerbefreiung
Die erste Frage des Finanzgerichts betraf die Reichweite der 1. Alternative des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a S. 1 EnergieStRL. Das Finanzgericht erbat Stellungnahme zur Frage, ob sie schon die Gewinnung der Braunkohle sowie ihre Aufbereitung (dazu gehört das Brechen der Kohle, das Abscheiden von Fremdteilen und das Zerkleinern bis zur im Kessel betriebsbedingt erforderlichen Größe) für die Verstromung erfasse. Der EuGH verneinte die Anwendbarkeit der Stromsteuerbefreiung auf die Förderung der Braunkohle, stellte aber unmissverständlich fest, dass die Aufbereitung der Kohle der Befreiung unterliegen müsse. Darin sei – in Abgrenzung vom Tatbestand, den Art. 21 Abs. 3 EnergieStRL erfasst – nicht (mehr) die Herstellung eines Brennstoffs zu sehen. Vielmehr sei dieser Prozess schon derart unmittelbar mit der Kohleverstromung verbunden und für diesen unentbehrlich, dass man den entsprechenden Stromverbrauch als „bei der Stromerzeugung“ im Sinne der Alternative 1 ansehen müsse. Der EuGH begründet die Zuordnung zum Prozess der Stromerzeugung selbst zudem mit der technischen wie rechtlichen Notwendigkeit, Kohle (nur) effizienzoptimierend aufbereitet zu verstromen.
Auch Transport und Lagerung des Energieträgers erfasst – mindestens auf dem Kraftwerkgelände
Die zweite Vorlagefrage betraf die Auslegung der Alternative 2 des Art. 14 Abs. 1 Buchst. a S. 1 EnergieStRL. Konkret fragte das Finanzgericht, ob als (von der Stromsteuer zu befreiende) Vorgänge „zur Aufrechterhaltung der Stromerzeugungsfähigkeit“ im Sinne der Norm auch der Betrieb von sog. Bunkeranlagen (zur Zwischenlagerung der Braunkohle) und Transportmitteln, die für den dauerhaften Betrieb der Kraftwerke erforderlich sind, anzusehen sind. Der EuGH geht insoweit von der – sich aufdrängenden – Prämisse aus, dass die Existenz beider Alternativen die Erfassung verschiedener Anwendungsbereiche bezweckt. Die Formulierung der Norm lege nahe, dass sie gerade der konkreten Stromerzeugung vor- und nachgelagerte Prozesse zu erfassen bestimmt sei, soweit entsprechende Stromverbräuche unmittelbar die Fähigkeit zur Stromerzeugung aufrechterhielten. In seiner anschließenden Subsumtion unterscheidet der EuGH zunächst räumlich zwischen Vorgängen, die auf dem Kraftwerksgelände stattfinden und solchen, die etwa noch im Bereich des Tagebaus ergehen. Erstere, d.h. Vorgänge, die mit der Lagerung der Braunkohle auf dem Kraftwerksgelände oder ihrem Transport über ebendieses – unter Nutzung etwa von Kohlebaggern oder Förderbändern – seien ohne weiteres von der Stromsteuer zu befreien, da sie zur Aufrechterhaltung der Erzeugungsfähigkeit erforderlich seien.
Hinsichtlich der (kurzfristigen) Einlagerung der Braunkohle im Tagebaubunker sowie der Transporte aus dem Tagebau zum Kraftwerk stellt der EuGH zunächst fest, dass diese Vorgänge wiederum tendenziell der Sphäre der Brennstoffherstellung, d.h. der Kohleförderung, zuzuordnen seien und daher nicht der Steuerbefreiung nach Art. 14 Abs. 1 Buchst. a Alt. 2 unterfallen könnten. Ausdrücklich überlässt der EuGH es jedoch dem Finanzgericht, im Einzelfall auch einen engeren funktionalen („unmittelbaren“) Zusammenhang dieser Prozesse mit der Stromerzeugung bzw. der Aufrechterhaltung der Fähigkeit zu dieser auszumachen und auch die entsprechenden Stromverbräuche von der Steuer zu befreien.
Aus der Feststellung des EuGH, dass Alternative 2 der Stromerzeugung vor- wie nachgelagerte Prozesse erfasse, folgt, dass auch die Entsorgung von notwendigen Abfallprodukten, im Fall der Braunkohleverstromung die in den Kesseln verbleibende Asche, umfasst sein muss. Rechtlich wie technisch kann Kohleverstromung nicht erfolgen, ohne die anfallende Asche fachgerecht zu entsorgen.
Ausmaß der Steuerbefreiung gem. Art. 14 Abs. 1 Buchst.
a S. 1 EnergieStRL immer anhand der konkreten Art der Stromerzeugung zu messen
Das Beispiel der Erfassung der Asche illustriert auch, dass das EuGH-Urteil der Zollverwaltung und den Gerichten aufgibt, Unterschiede zwischen verschiedenen Erzeugungsarten und Energiequellen bei der Energiebesteuerung zu berücksichtigen. Es kann nicht pauschal auf den schlichten technologischen Prozess abgestellt werden, aus dem unmittelbar die Stromgewinnung folgt. Vielmehr wird es einerseits Energiequellen geben, die nahezu keine unmittelbar erforderlichen Stromverbräuche bedingen – man denke etwa an Solar- oder Windenergie, wo Energieträger und die sie verarbeitende Technologie ohne physischen Aufwand zueinander kommen. Andererseits gibt es – zumindest auf absehbare Zeit – Arten der Stromerzeugung, die mit einer ganzen Reihe von vor- und nachgeschalteten unabdingbaren Energieverbräuchen einhergehen, die allesamt der Steuerbefreiung unterfallen. Dies ist im Sinne der Doppelbesteuerungsvermeidung – die laut des vorliegenden Urteils eigentlicher Zweck der Befreiung ist – auch das einzig richtige Ergebnis. Vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils dürfte auch die vom BFH vertretene Auffassung, dass Prozesse, die der eigentlichen Stromerzeugung nachgelagert sind, nicht steuerfrei zu stellen sind (BFH, Urteil vom 30. April 2019, VII R 10/18), nicht aufrecht zu halten sein.
Für Unternehmen, die in der Stromerzeugung tätig sind, bedeutet die neue Rechtsprechung, dass die Prozesse zu überprüfen sind und ggf. gegen die zu enge Auslegung der Stromsteuerbefreiung durch die Zollverwaltung Einspruch einzulegen ist.
BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen in Rechtsprechung und Verwaltungspraxis aufmerksam verfolgen. Bei Fragen stehen Ihnen Dr. Roland M. Stein und Dr. Leonard von Rummel jederzeit gern zur Verfügung.