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Ausweitung der deutschen Investitionskontrolle

Mit der 9. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) wurden am 12. Juli 2017 neue Regeln für die Prüfung von Unternehmenserwerben durch ausländische Investoren beschlossen. Die Änderungen machen Folgendes deutlich: Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) wird seine Prüfungsmöglichkeiten bei Unternehmenserwerben zukünftig noch ernster nehmen. Das bedeutet, dass sich Unternehmen auf gründlichere und längere Prüfungen einstellen müssen. Die bisherige Praxis deutete bereits in diese Richtung. Nun hat das BMWi auch die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen.

Regelungsbereich der deutschen Investitionskontrolle

Das BMWi kann prüfen, ob der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 25 Prozent an einem inländischen Unternehmen durch ausländische Investoren die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Unterschieden wird hierbei zwischen einer sektorübergreifenden (§§ 55 ff. AWV) und einer sektorspezifischen Prüfung (§§ 60 ff. AWV). Während die sektorübergreifende Prüfung nur Erwerbe durch EU- & EFTA-Ausländer betrifft, gilt die sektorspezifische Prüfung für jeden aus-ländischen Erwerb in besonders sicherheitssensiblen Bereichen. Mit der Änderung der AWV werden die Prüfungskompetenzen und Prüfungszeiträume des BMWi erweitert sowie den betroffenen Unternehmen und Erwerbern neue Pflichten auferlegt.

Sektorübergreifende Prüfung, §§ 55 ff. AWV

Fallbeispiele der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit

Bisher war nicht ausdrücklich normiert, was unter „der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ zu verstehen ist. Mit der beschlossenen Änderung listet § 55 Abs. 1 S. 2 AWV nun konkrete Regelbeispiele von Targets auf, deren Erwerb eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellen kann. Genannt werden

Betreiber sogenannter „Kritischer Infrastrukturen“ (zur Begriffsbestimmung s. § 2 Abs. 10 BSIG und die dazu ergangene Verordnung, BSI-KritisV) (Nr. 1),

Entwickler von Software zum Betrieb solcher „Kritischer Infrastrukturen“ (Nr. 2),

Unternehmen, die im Bereich der Telekommunikationsüberwachung eingebunden sind (Nr. 3),

Anbieter bestimmter Cloud-Computing-Dienste (Nr. 4) oder

Unternehmen, die wichtige Funktionen im Bereich der IT-Sicherheit und der sicheren Kommunikationsmittel im Gesundheitswesen (sog. Telematikinfrastruktur) wahrnehmen (Nr. 5).

„Kritische Infrastrukturen“ betreffende Fälle konnte das BMWi auch nach bisherigem Recht untersuchen und untersagen. So hat das BMWi beispielsweise Ende letzten Jahres den Erwerb der Osram -Sparte für Lichtprodukte und vernetzte Lichtanwendungen Ledvance durch chinesische Investoren geprüft und eine zunächst erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung für den Erwerb des Herstellers von Depositionsanlagen für die Halbleiterindustrie AIXTRON widerrufen. Diese Praxis wird nun ausdrücklich in Regelbeispiel Nr. 2 kodifiziert. Regelbeispiel Nr. 4 der Cloud-Computing-Dienste wurde dahingegen bis zur Änderung des AWV weniger klar als kritisch eingestuft.

Mit den neuen Regelbeispielen liegt jedoch nunmehr ein ausdrücklicher Prüfauftrag an die zuständige Abteilung des BMWi vor, beim Erwerb von in diesen Bereichen tätigen Unternehmen zukünftig (noch) genauer hinzusehen. Gleichzeitig kann zukünftig bei Industriesektoren, die keinem der Regelbeispiele zuzuordnen und auch nicht mit diesen vergleichbar sind, regelmäßig von einer Freigabe ausgegangen werden. Unter Rechtssicherheitsaspekten ist das ein Schritt in die richtige Richtung. Auch vereinfacht es die Anmeldungen, bei denen man bislang oft etwas im „luftleeren“ Raum argumentieren musste.

Ausweitung der Prüfungskompetenz bei Umgehungsgeschäften

Mit der Änderung werden zudem die Prüfungskompetenzen des BMWi in Umgehungsfällen konkretisiert. In § 55 Abs. 2 S. 1 AWV wird klargestellt, dass eine Umgehungskonstruktion auch dann angenommen werden kann, wenn die Verhinderung einer Investitionsprüfung durch das BMWi nur einer von mehreren Gründen für die gewählte Gestaltung ist. § 55 Abs. 2 S. 2 AWV schreibt darüber hinaus die bisherige Praxis des BMWi ausdrücklich fest: Anzeichen für Umgehungsgeschäfte liegen insbesondere dann vor, wenn der unmittelbare Erwerber keiner nennenswerten eigenständigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht oder innerhalb der EU keine auf Dauer angelegte eigene Präsenz in Gestalt von Geschäftsräumen, Personal oder Ausrüstungsgegenständen unterhält.

Prüfungszeiten/Verfahren

Die Prüfungsfristen wurden deutlich verlängert, um dem BMWi mehr Zeit für die Prüfung zu gewähren. So verlängert sich die Frist für die Erteilungsfiktion der Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 58 Abs. 2 AWV von einem auf zwei Monate und für das Prüfungsverfahren von zwei auf vier Monate (§ 59 Abs. 1 S.1 AWV). Nach der neuen Rechtslage soll außerdem, sofern das BMWi im Rahmen des Prüfverfahrens mit den am Erwerb Beteiligten Verhandlungen über vertragliche Regelungen führt, die letztgenannte Frist gehemmt werden (§ 59 Abs. 2 AWV).

Von durchaus praktischer Relevanz ist, dass das BMWi das Investitionsprüfungsrecht fortan bis zu drei Monate nach Kenntnis des Abschlusses des Erwerbsvertrags ausüben kann (§ 55 Abs. 3 S. 1 AWV). Bislang kam es auf die Kenntnis nicht an. Relevant war vielmehr nur der Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Kaufvertrages. Der bisher mögliche „Strategie“, den Vertragsabschlusses längst möglich „geheim“ zu halten, um dem BMWi von vornherein jegliches Prüfungsrecht zu nehmen, ist damit ein Riegel vorgeschoben.

Ergänzend zu dem kenntnisabhängigen Fristbeginn wurde für den Fall des Vorliegens eines Regelbeispiels des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV eine Meldepflicht eingeführt (§ 55 Abs. 4 AWV). Eine Sanktionierung von Verstößen gegen diese sieht die AWV jedoch nicht vor. Auch legt die Gesetzessystematik nahe, dass die – für die Ausübung des Prüfungsrechts maßgebliche (§ 55 Abs. 3 S. 1 AWV) – Kenntnis des Vertragsabschlusses nicht zwangsläufig durch eine solche Meldung vermittelt sein muss.

Sektorspezifische Prüfung, §§ 60 ff. AWV

Auch die sektorspezifische Kontrolle wurde mit der 9. Verordnung zur Änderung des AWV ausgeweitet. In Zukunft sollen zusätzliche „verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologiefelder“ im Hinblick auf eine mögliche Gefährdung wesentlicher Sicherheitsinteressen geprüft werden können. Entsprechend wurde die Liste in § 60 Abs. 1 S. 1 AWV um einige neue Güter ergänzt.

Mit der neuen Rechtslage wurde für die sektorspezifische Prüfung das Umgehungsverbot eingeführt (§ 60 Abs. 1 S.2 AWV), welches im Rahmen des AWV bisher ausdrücklich nur für die sektorübergreifende Prüfung existierte. Auch Investitionen durch Inländer können daher zukünftig in Umgehungskonstruktionen einer sektorspezifischen Prüfung unterzogen werden.

Weiterhin wurde im Bereich der sektorspezifischen Prüfung die Frist für die Freigabefiktion von einem auf drei Monate verdreifacht (§ 61 AWV). Gleiches gilt für die Prüfungsfrist gemäß § 62 Abs. 1 AWV. Zudem wurden die für das sektorübergreifende Prüfungsverfahren eingeführten neuen Regelungen zur Fristhemmung entsprechend auch für das sektorspezifische Prüfungsverfahren übernommen (§ 62 Abs. 2 AWV).

Zusammenfassung

Mit der beschlossenen Änderung der Außenwirtschaftsverordnung sollen die Modalitäten des Prüfungsverfahren an die gestiegene Zahl und Komplexität der Unternehmenserwerbe angepasst werden. Die Fristen werden überwiegend verlängert, um dem BMWi mehr Zeit für eine ordnungsgemäße Prüfung zu gewähren.

Im sektorübergreifenden Bereich erfolgte zudem die Konkretisierung der Untersagungsmöglichkeiten durch bestimmte Regelbeispiele sowie die Einführung einer Meldepflicht. Bei der sektorspezifischen Prüfung wird die Prüfungskompetenz durch das BMWi in besonders sicherheitssensiblen Bereichen um zusätzliche Schlüsseltechnologien im Verteidigungsbereich erweitert.

Die Auswirkungen der Änderungen sind derzeit naturgemäß kaum einzuschätzen. Eine abschreckende Wirkung für ausländische Investoren erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen: Der Anreiz inländische Unternehmen zu erwerben, könnte – insbesondere für Erwerber aus dem EU/EFTA-Ausland – durch strengere und längere Prüfverfahren gemindert werden. Es ist nicht auszuschließen, dass das von anderen Staaten – insbesondere aus dem EU-/EFTA-Ausland – als eine Form von Protektionismus gedeutet wird. Das gilt umso mehr, als dass nach Aussage der Bundesregierung parallel zu der vorgenommenen Ausweitung der deutschen Investitionskontrolle Deutschland gemeinsam mit Frankreich und Italien die bereits Ende letzten Jahres angestoßene Initiative zur Einführung einer Investitionskontrolle auf EU-Ebene weiter vorantreibt. Bereits durch die Konkretisierung der deutschen Rechtslage, die längeren Prüfungszeiträume und die Meldepflichten ist der Weg für mehr Untersagungen geebnet. Die Bundesregierung geht jedenfalls laut der Verordnungsbegründung von fünf zusätzlichen umfassenden Prüfungsverfahren in der sektorübergreifenden und drei zusätzlichen im An-wendungsbereich der sektorspezifischen Prüfung aus.

Nichtsdestotrotz enthält die Neuregelung auch zu begrüßende Änderungen. Insbesondere die Konkretisierung der Rechtslage durch die ausdrückliche Nennung von Regelbeispielen in der sektorübergreifenden Prüfung erhöht sich die Rechtssicherheit für das betroffene inländische Unternehmen und den jeweiligen ausländischen Investor.

BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen – insbesondere die zukünftige Praxis des BMWi – beobachten und darüber informieren. Wenn Sie Fragen zu den potenziellen Auswirkungen des Gesetzesvorhabens auf Ihr Unternehmen oder Ihre Branche haben, stehen Ihnen Dr. Roland M. Stein und Dr. Pascal Friton jederzeit gern zur Verfügung.