Das neue „Lieferkettengesetz“ – Was erwartet Unternehmen?

17.03.2021

Deutsche Unternehmen und insbesondere ihre Rechts- und Einkaufsabteilungen sollten sich bereits jetzt auf die Auswirkungen des neuen Sorgfaltspflichtengesetzes einstellen. Erstmals werden Sorgfaltspflichten auf Zuliefererbetriebe in Drittländern ausgedehnt, zudem wird die gerichtliche Durchsetzbarkeit der zivilrechtlichen Haftung erleichtert. Wir geben einen Überblick, welche Pflichten deutsche Unternehmen zukünftig treffen und was bei innerbetrieblichen Compliance-Prozessen beachtet werden sollte.

Gestuftes Sorgfaltspflichtenregime

Nach dem Lieferkettengesetz soll ein gestuftes System von Sorgfaltspflichten gesetzlich verankert werden. Deutsche Unternehmen sollen verpflichtet werden, ein Risikomanagementsystem zu implementieren und Risikoanalysen durchzuführen sowie Präventionsmaßnahmen bei sich und ihren Zuliefererbetrieben umzusetzen und erforderlichenfalls Abhilfemaßnahmen zu ergreifen; flankiert werden diese Anforderungen durch entsprechende Dokumentations- und Berichtspflichten und die Einrichtung eines geeigneten betriebsinternen Beschwerdeverfahrens. Zudem sind Unternehmen verpflichtet, ihre Compliance-Prozesse jährlich zu evaluieren.

Die höchsten Anforderungen sollen im eigenen Betrieb und für die sogenannten direkten Zulieferer, d.h. solche Unternehmen, zu denen direkte Vertragsbeziehungen unterhalten werden, gelten. Für vorgelagerte, sogenannte mittelbare Zulieferer sind verringerte Sorgfaltspflichten vorgesehen. Die Erleichterung für letztere besteht im Wesentlichen darin, dass umfassende Risikoanalysen und Abhilfemaßnahmen von deutschen Unternehmen erst dann verlangt werden, wenn sie Kenntnis von Missständen erhalten, etwa durch substantiierte Hinweise von Betroffenen oder NGOs.

Hervorzuheben sind zwei Punkte: Es handelt sich grundsätzlich nicht um eine strikte Erfolgspflicht, sondern um eine Bemühenspflicht, d.h. Unternehmen sind verpflichtet, Sorgfaltspflichtverletzungen mit redlicher Anstrengung und verhältnismäßigem Aufwand – nicht aber „um jeden Preis“ zu verhindern. Eine Ausnahme gilt für den eigenen Betrieb: Hier muss eine Abhilfemaßnahme zur Beendigung des gesetzeswidrigen Verstoßes führen. Sollten vorrangige Abhilfemaßnahmen in den Zuliefererbetrieben aber keinen hinreichenden Erfolg versprechen, kann es als „letztes Mittel“ gesetzlich geboten sein, Geschäftsbeziehungen abzubrechen.

Anknüpfungspunkt der Sorgfaltspflichten – Was wird geschützt?

Anknüpfungspunkt der Sorgfaltspflichten können u.a. sein: die Verbote von Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Sklaverei, die Missachtung nationaler Arbeitsschutzvorschriften, die Gewährleistung der Koalitionsfreiheit, ein umfassendes Diskriminierungsverbot, welches u.a. Ungleichbehandlungen wegen Geschlecht, Nationalität, sozialer Herkunft, Gesundheit sowie Meinung und Religion erfasst und schließlich weitreichende umweltbezogene Pflichten.

Zeitplan und Anwendungsbereich

Auch der zeitliche und persönliche Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes erfolgt in einem gestuften System. Ab dem 1. Januar 2023 sollen die gesetzlichen Sorgfaltspflichten zunächst für deutsche Unternehmen mit über 3.000 inländischen Beschäftigten (ca. 600 Unternehmen), ab 1. Januar 2024 dann auch für deutsche Unternehmen mit über 1.000 inländischen Beschäftigten (weitere knapp 3.000 Unternehmen) gelten. Diese Schwellenwerte ziehen Beschäftigte in Zeitarbeit mit ein. Vorgesehen ist zudem eine Evaluation, ob eine weitergehende Anwendung des Lieferkettengesetzes auch auf kleinere Unternehmen erfolgen soll.

Aber auch Unternehmen unterhalb der Schwellenwerte bleiben von dem Gesetz nicht unberührt. Als Zuliefererbetrieb eines unmittelbar betroffenen Unternehmens wird man sich darauf einstellen müssen, zukünftig in deren Compliance-Maßnahmen einbezogen zu werden. Insbesondere wird man sich auf entsprechende Vertragsklauseln der Kunden einstellen müssen, in denen diese entsprechende Compliance-Erklärungen von ihren Zulieferern verlangen. Dadurch würden vertraglich Pflichten an die Zulieferer weitergegeben, die vom Gesetz selbst nicht unmittelbar erfasst sind. Unternehmen mit unter 1.000 Mitarbeitern können sich also nicht entspannt zurücklehnen, sondern müssen ebenfalls genau prüfen, welche Compliance-Anforderungen in einem solchen Fall auf sie zukommen.

Durchsetzung

Mit Blick auf die privatrechtliche Haftung besteht eine relevante Neuerung: Durch das Vehikel der Prozessstandschaft, beispielsweise durch NGOs und Gewerkschaften, soll die private Rechtsdurchsetzung von betroffenen Personen vor deutschen Zivilgerichten effizienter werden.

Aus öffentlich-rechtlicher Perspektive soll die Aufsicht über die Umsetzung des Lieferkettengesetzes durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) erfolgen. Dieses soll mit einem „robusten Mandat“ ausgestattet werden, welches Anordnungsbefugnisse zu konkreten Maßnahmen gegenüber Unternehmen sowie Betretensrechte umfasst und durch entsprechenden Auskunfts-, Duldungs- und Mitwirkungspflichten ergänzt wird. Für die Aufsicht sollen neue Stellen in beachtlichem Umfang geschaffen werden – konkret sind 65 neuen Stellen geplant.

Ob der Papiertiger Zähne hat, richtet sich ganz wesentlich nach der Höher der möglichen Bebußung von Verstößen. Die im Gesetz genannten Bußgelder erhöhen sich für das betroffene Unternehmen durch den Verweis auf das Ordnungswidrigkeitengesetz um das zehnfache. Hier gilt, dass Versäumnisse, die betriebsinterne Zuständigkeit für Risikoüberwachung festzulegen oder die erforderlichen Risikoanalysen durchzuführen, mit einem Bußgeld i.H.v. max. 500.000,- Euro gegen natürliche Personen und bis zu 5 Millionen Euro gegen das Unternehmen belegt werden können. Bei einigen Verstößen, z.B. dem Nichtergreifen von Präventionsmaßnahmen trotz erkannten Risikos, kann das Bußgeld bis zu 800.000,- Euro für natürliche Personen und 8 Millionen Euro für das Unternehmen betragen. Für sonstige Verstöße gilt grundsätzlich eine Obergrenze von 100.000,- Euro für natürliche Personen. Bei Großunternehmen mit einem weltweiten Jahreskonzernumsatz von über 400 Millionen Euro kann die Bebußung unter Umständen bis zu 2% des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen.

Zusätzlich droht Unternehmen ab einem Bußgeld i.H.v. 175.000,- Euro wegen Verstoß gegen das Lieferkettengesetz ein Ausschluss von bis zu drei Jahren von der Vergabe öffentlicher Aufträge. Der Ausschluss kann durch eine erfolgreiche vergaberechtliche Selbstreinigung aufgehoben werden.

Neben diesen „harten Durchsetzungsmaßnahmen“ sieht der Gesetzentwurf zudem vor, dass die Dokumentations- und Berichtspflichten durch einen öffentlichen Bericht des jeweiligen Unternehmens zu erfüllen sind, welcher jeweils sieben Jahre frei zugänglich auf der Internetseite des Unternehmens abrufbar sein muss.

Ausblick

Die Verantwortlichen der Regierung werden nicht müde zu betonen, dass keine materiell-rechtliche Haftungserweiterung durch das Sorgfaltspflichtengesetz erfolge. Abzuwarten bleibt allerdings, wie sich die Einführung der Prozessstandschaft auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit der Sorgfaltspflichten und damit die Haftung deutscher Unternehmen für Missstände in der Lieferkette praktisch auswirkt. Unsicherheiten – und damit Haftungsrisiken bestehen auch hinsichtlich der Frage, wann „substantiierte Hinweise“ mit Blick auf mittelbare Zulieferer verschärfte Sorgfaltspflichten auslösen. Sicher ist zwar, dass kein Gesetz den Bundestag verlässt, wie es eingebracht wurde. Es bleibt also zu beobachten, ob und wie Ressortabstimmung und Parlamentsdebatte das Lieferkettengesetz noch verschärfen oder abmildern werden, bis es letztlich die Gestalt annimmt, in der es in Kraft treten wird.

Da jedoch davon auszugehen ist, dass die Regierungskoalition zumindest die grundsätzlichen Leitlinien der Regelungen nicht mehr verändern wird, sollten sich deutsche Unternehmen bereits jetzt darauf einstellen, ihre Vertragsbeziehungen zu überprüfen ganz besonders bei länderübergreifenden Lieferketten: Die notwendige Risikoanalyse (Informations- und Kontrollrechte), erforderliche Abhilfemaßnahmen (Compliance Maßnahmen, Kündigungsrechte) und Haftung (Vertragstrafen, vertragliche Haftungsübernahme) bedürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer Anpassung. Warenimportierende Unternehmen sind auch nach Einschätzung des Gesetzgebers am intensivsten durch das Sorgfaltspflichtengesetz betroffen. Aber auch Unternehmen mit geringeren internationalen Verflechtungen, beispielsweise aus den Branchen Bau, Landwirtschaft und Fischerei oder Logistik, dürfen die Beeinträchtigung menschen- und umweltrechtlicher Belange nicht unterschätzen.

Generell ist es ratsam, die betriebsinterne Kontrolle der Compliance-Maßnahmen einer vom operationellen Geschäft unabhängigen Instanz zu übertragen, d.h. dies beispielsweise in der Rechtsabteilung oder einer eigenen Compliance-Abteilung, statt im Einkauf eines Unternehmens anzusiedeln. Die Öffentlichkeit der jährlichen Unternehmensberichte legen es zudem nahe, von Anfang an eine enge Zusammenarbeit zwischen der Umsetzung der gesetzlichen Sorgfaltspflichten und der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens mitzudenken.

BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen genau beobachten und darüber informieren. Wenn Sie Fragen zu den potenziellen Auswirkungen der Vorhaben auf Ihr Unternehmen oder Ihre Branche haben, stehen Ihnen Dr. Anna Huttenlauch und Dr. Florian Wolf jederzeit gern zur Verfügung.

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