Emerging Technologies werden Teil der nationalen Ausfuhrliste
Ein Vorstoß gegen den Binnenmarkt?
Die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) beinhaltet neben Bestimmungen zur Investitionskontrolle und Meldevorschriften im Kapital- und Zahlungsverkehr insbesondere Regeln für die Ausfuhr von Waffen, Rüstungsgütern und Gütern, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind (sog. Dual-Use-Güter). Diese nationalen Ausfuhrbestimmungen wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit der am 17. Juli 2024 vom Bundeskabinett angenommenen 21. Verordnung zur Änderung der AWV anpassen und insbesondere die nationale Listung von Dual-Use-Gütern erweitern. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die geplanten Änderungen und ordnen diese für Sie ein.
Neufassung der nationalen Ausfuhrliste
Die wohl praktisch wichtigste Änderung betrifft die nationale Ausfuhrliste. Während die Exportkontrolle für Dual-Use-Güter in der Verordnung (EU) 2021/821 unionsweit einheitlich geregelt ist, bleibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, ergänzend nationale Dual-Use-Güter zu bestimmen. In Deutschland hat der Gesetzgeber hiervon mittels der Ausfuhrliste, Teil I Abschnitt B Gebrauch gemacht, in der er national erfasste Dual-Use-Güter aufführt.
Erweiterung der national erfassten Dual-Use-Güter
Diese Liste wird nunmehr erweitert und unterwirft in Zukunft auch sogenannte Emerging Technologies wie beispielsweise Quantencomputer oder Künstliche Intelligenz (KI) der Ausfuhrkontrolle. Konkret werden folgende Güter neu in die Ausfuhrliste aufgenommen:
Integrierte Tieftemperatur-CMOS Schaltkreise (Cryo-CMOS),
parametrische Signalverstärker/quantenlimitierte Verstärker mit bestimmten Konstruktionseigenschaften,
bestimmte kryogene Kühlsysteme (unter anderem zweistufige kryogene Pulsrohrkühler),
bestimmte Rasterelektronenmikroskope zur bildgebenden Untersuchung von Halbleiterbauelementen oder Integrierten Schaltkreisen,
bestimmte Ausrüstung zum Trockenätzen (Dry Etching),
bestimmte kyrogene Wafer-Prüfausrüstung sowie
bestimmte Arten von Quantencomputern, Qubit-Bauteilen, Qubit-Schaltkreisen, Quanten-Kontrollanordnungen und Quanten-Messeinheiten.
Die Ausfuhrliste konkretisiert detailliert, unter welchen Voraussetzungen ein Gut erfasst ist. Jedes Produkt, für das eine Einreihung unter eine der Positionen denkbar ist, muss daher genau mit der Ausfuhrliste abgeglichen werden.
Mit der Aufnahme in die Ausfuhrliste fällt die Ausfuhr der betroffenen Güter in Drittländer unter die Genehmigungspflicht des § 8 Abs. 1 AWV. Zudem unterliegen auch Verbringungen innerhalb der Europäischen Union gem. § 11 Abs. 2 AWV einer Genehmigungspflicht, wenn dem Verbringer bekannt ist, dass das endgültige Bestimmungsziel des Gutes außerhalb der EU liegt. So soll verhindert werden, dass mittels Ausfuhr über andere Mitgliedstaaten die nationale Kontrollliste umgangen wird.
Im Übrigen wird das Nummerierungssystem in Teil I Abschnitt B der Ausfuhrliste neugefasst und von einer fünf- auf eine sechsstellige Nummerierung umgestellt, um eine bessere Vergleichbarkeit nationaler Kontrolllisten auf europäischer Ebene zu erreichen.
Einordnung
Die Erweiterung der Ausfuhrliste kann durchaus kritisch betrachtet werden: Die Europäische Kommission hat bereits Anfang dieses Jahres in ihrem Weißbuch zum Thema Ausfuhrkontrolle ihre Skepsis gegenüber Ergänzungen der nationalen Dual-Use-Kontrolllisten der Mitgliedstaaten deutlich gemacht. Denn solche Alleingänge könnten mittelfristig dem Entstehen eines regulatorischen Flickenteppichs Vorschub leisten. In die von der Kommission genannte Reihe von Mitgliedstaaten, die die Dual-Use-Ausfuhrkontrolle unilateral verschärft hätten, wie die Niederlande, Spanien und Litauen, reiht sich nunmehr neben Italien auch Deutschland ein.
Diese Entwicklungen können – so auch die Sorge der Kommission – durch die Zerfaserung des Binnenmarktes sogenanntes „Forum-Shopping“ begünstigen: Erwerber aus Drittstaaten, die Interesse an den national gelisteten Gütern haben, könnten auf Anbieter aus Ländern mit „günstigeren“ Exportkontrollregimen ausweichen, um Genehmigungsverfahren ihrer Lieferanten zu vermeiden. Dadurch droht für Anbieter von Schlüsseltechnologien aus Staaten, in denen nach den nationalen Ausfuhrlisten strengere Kontrollmaßstäbe bestehen, ein Wettbewerbsnachteil. Das gilt auch für Deutschland, zumal die Verfahrensdauer für Ausfuhrgenehmigungen vor dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) angesichts der sehr hohen Zahl von Anfragen stark angestiegen ist. Durch eine Ausdehnung der Genehmigungspflichten dürfte sich dieser Trend noch weiter fortsetzen.
Nach Ansicht des BMWK sollen diese Gefahren im Falle der Emerging Technologies allerdings deshalb gering sein, weil die konkreten Ergänzungen international abgestimmt seien und mehrere Staaten diese Güter ebenfalls bereits national kontrollierten oder eine Einführung derartiger Kontrollen vorhätten. Ob dies allerdings die Bedenken vollständig ausräumt, bleibt abzuwarten. Statt unilateral und unkoordiniert eine punktuelle Erweiterung der Ausfuhrliste vorzunehmen, wäre es in jedem Fall rechtspolitisch sinnvoll, wenn Deutschland sich für eine vorgezogene Evaluierung und anschließende Fortschreibung der Dual-Use-Verordnung einsetzen würde. Einheitliche Standards im Binnenmarkt erscheinen besser geeignet, um unionsweit gemeinsam und einheitlich auf die ausfuhrrechtlichen Herausforderungen neuer Technologien zu reagieren.
Weitere geplante Änderungen
Neben der Ausweitung der nationalen Kontrollliste von Dual-Use-Gütern finden sich in der Änderungsverordnung noch weitere Anpassungen der AWV:
Anpassung von § 76 AWV an neue VN-Resolutionen und GASP-Beschlüsse
§ 76 AWV wird geändert, um bestimmte Ausnahmen von Waffenembargos der Vereinten Nationen (VN) national umsetzen. Die Vorschrift sieht Genehmigungsmöglichkeiten für die nach §§ 74 und 75 AWV bestehenden Verbote des Verkaufs, der Ausfuhr, der Durchfuhr und der Erbringung von Vermittlungsdienste für die in Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste genannten Güter (Waffen, Munition und Rüstungsmaterial) für Waffenembargo-Staaten. Nachdem für Somalia und die zentralafrikanische Republik neue Ausnahmen durch VN-Resolutionen beschlossen wurden, die europarechtlich durch die GASP-Beschlüsse 2024/882 und 2023/2487 umgesetzt wurden, mussten diese nun noch national umgesetzt werden.
Nach der vorgesehenen Änderung sind Geschäfte mit Bezug zu den unter Teil 1 Abschnitt A der Ausfuhrliste fallenden Gütern genehmigungsfähig, die bestimmten Einrichtungen des somalischen Staats zugutekommen. Zudem ist eine Erweiterung der Genehmigungsmöglichkeiten für Geschäfte zugunsten der (Strafverfolgungs-)Behörden der Zentralafrikanischen Republik vorgesehen.
Bußgeldbewährung von Verstößen gegen weitere Sanktionsmaßnahmen der EU gegen Russland
Schließlich werden aktuelle Weiterentwicklungen der Russland-Sanktionen in das nationale Ordnungswidrigkeitenrecht eingepflegt. Dafür wird § 82 Abs. 9 AWV um zwei Tatbestände erweitert: Künftig soll ein Verstoß gegen das an russische Staatsangehörige und in Russland ansässige natürliche Personen gerichtete Verbot, Organisationen, die Krypto-Dienstleistungen erbringen, zu kontrollieren, zu besitzen oder Leitungsgremien in ihnen zu besetzen (Art. 5b Abs. 2a VO (EU) Nr. 833/2014) eine Ordnungswidrigkeit darstellen. Dasselbe gilt für Verstöße gegen die in Art. 5a Abs. 8 lit. a) bis c) VO (EU) Nr. 833/2014 normierten, an Zentralverwahrer gerichteten Gebote.
BLOMSTEIN wird die aktuellen Entwicklungen weiterhin aufmerksam verfolgen. Wenn Sie Fragen zu den geplanten Ergänzungen der nationalen Ausfuhrliste haben, wenden Sie sich bitte an Dr. Roland Stein oder Dr. Tobias Ackermann.