Rechtsrahmen gemeinsamer Rüstungsbeschaffungen in der EU
Ein wichtiges Anliegen der Europäischen Kommission im Verteidigungs- und Sicherheitssektor ist eine verstärkte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei Beschaffungen. Der Ausbau gemeinsamer Beschaffungen soll nicht nur zu Kostensenkungen und zur Förderung des Wettbewerbs führen, sondern in letzter Konsequenz auch die Kooperation zwischen den europäischen Streitkräften erleichtern. Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Kommission in diesem Zusammenhang einen gesonderten Leitfaden, in dem sie den europarechtlichen Rechtsrahmen gemeinsamer Beschaffungsvorhaben in diesem Bereich erläuterte. Ziel war es, den öffentlichen Auftraggebern Unsicherheiten zu nehmen. Es bleibt abzuwarten, ob der Leitfaden unmittelbar eine Häufung gemeinsamer Beschaffungsvorhaben bewirken kann. Allerdings ist damit ohnehin aufgrund der europäischen Initiativen PESCO und dem EDF zu rechnen.
Bei einer gemeinsamen Beschaffung geben die teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten die Beschaffung der jeweiligen Ware (oder Dienstleistung) als solche an eine Organisationseinheit weiter. Bei dieser so genannten zentralen Beschaffungsstelle handelt es sich in der Regel entweder um einen der teilnehmenden Mitgliedstaaten oder um eine supranationale Organisation wie OCCAR, NATO oder EDA. Sie führt das Beschaffungsverfahren durch und agiert als Stellvertreterin der Mitgliedstaaten.

Sind die Mitgliedstaaten an ihr nationales Vergaberecht gebunden, wenn sie eine zentrale Beschaffungsstelle mit der Durchführung eines gemeinsamen Beschaffungsvorhabens beauftragen?
Sind die zentralen Beschaffungsstellen bei der Auswahl der Auftragnehmer an Vergaberecht gebunden?
Gibt es für Unternehmen eine Möglichkeit, gegen eine unfaire Vergabe eines gemeinsamen Beschaffungsvorhabens an einen Wettbewerber vorzugehen?
Ein „sicherer Hafen“ außerhalb der Reichweite des Vergaberechts?
Die entscheidende Frage bei gemeinsamen Beschaffungsverfahren ist, welche Auswirkungen sie auf den Wettbewerb auf dem europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsmarkt haben. Auf den ersten Blick scheint es, als würde die Zusammenarbeit den Mitgliedstaaten ermöglichen, das nationale Vergaberecht zu umgehen. In der Konsequenz hätten sie bei der Auswahl eines Anbieters gänzlich freie Hand. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Vergaberecht ist nämlich unabhängig von der Struktur einer gemeinsamen Beschaffung anzuwenden:
Sofern ein Mitgliedstaat sich dazu entscheidet, eine Beschaffung an eine zentrale Beschaffungsstelle zu delegieren, so fällt die Delegierung selbst in den Anwendungsbereich der Verteidigungsrichtlinie (Richtlinie 2009/81/EU) und dem die Richtlinie umsetzenden nationalen Vergaberecht. Das bedeutet, dass grundsätzlich auch die Beauftragung einer zentralen Beschaffungsstelle im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu erfolgen hat. Aufgrund verschiedener von der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung wettbewerblicher Verfahren haben die Mitgliedstaaten je nach zentraler Beschaffungsstelle jedoch häufig die Möglichkeit, diese direkt zu beauftragen. Die folgende Tabelle verschafft einen Überblick darüber, welche Ausnahmen in diesem Zusammenhang in Betracht kommen:

Die Beauftragung der zentralen Beschaffungsstelle durch die Mitgliedstaaten selbst muss also häufig kein Vergabeverfahren durchlaufen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Beschaffungsakt der zentralen Beschaffungsstelle selbst vom Vergaberecht ausgenommen ist. Denn die Verteidigungsrichtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten nur deshalb bei der Beauftragung der zentralen Beschaffungsstelle auf ein wettbewerbliches Verfahren zu verzichten, wenn dafür die zentrale Beschaffungsstelle bei der Beschaffung selbst die Verfahrensregeln der Verteidigungsrichtlinie oder vergleichbare Regeln beachtet und anwendet. Das ist selbstverständlich, wenn ein Mitgliedstaat oder die EDA als zentrale Beschaffungsstelle fungiert, da beide auch dann verpflichtet sind, die Verteidigungsrichtlinie (oder das sie umsetzende nationale Recht) zu beachten. Bei OCCAR und NATO ist das hingegen nicht der Fall. Sie haben vielmehr ihre eigenen Verfahrensregelungen geschaffen. Bei ihnen drängt sich jedoch die Frage auf, ob diese den Standard der Verteidigungsrichtlinie – wie in den entsprechenden Ausnahmeregelungen gefordert – erfüllen.
Folglich ist die zentrale Beschaffungsstelle stets dazu verpflichtet, ein Vergaberechtsregime anzuwenden, das entweder auf der Verteidigungsrichtlinie basiert oder zumindest einen vergleichbaren Standard sicherstellt. Dies führt im Ergebnis dazu, dass die zentrale Beschaffungsstelle grundsätzlich zur Auftragsvergabe ein Vergabeverfahren durchführen muss. Abweichungen sind nur in Ausnahmefällen möglich (z.B. bei der Beschaffung einer Technologie im Anschluss an ihre Erforschung und Entwicklung im Auftrag der zentralen Beschaffungsstelle). Bei solchen Vergaben findet dann dennoch das EU-Primärrecht Anwendung; Art. 346 AEUV kann hingegen im Rahmen gemeinsamer Beschaffungen nicht für die Rechtfertigung einer Direktvergabe herangezogen werden.
Keine Möglichkeit sich zu wehren?
Sowohl die Beauftragung einer zentralen Beschaffungsstelle durch die Mitgliedstaaten als auch die Entscheidung der zentralen Beschaffungsstelle, einen Auftrag zu vergeben, unterliegen somit vergaberechtlichen Anforderungen, welche zumindest vergleichbar mit denen der Verteidigungsrichtlinie sein müssen. Daraus folgt, dass Unternehmen, die sich benachteiligt fühlen, beide Handlungen auch angreifen können. Dies gilt insbesondere für die Fälle, in denen der Verdacht besteht, dass die Anwendbarkeit des (nationalen) Vergaberechts absichtlich umgangen wurde. Denn ein solches Vorgehen ist in jedem Fall unzulässig.
Rechtsschutzsuchende Unternehmen müssen sich dann entscheiden, welche Handlung sie überprüfen lassen wollen. Die Praxis zeigt, dass die Anfechtung der Auftragsvergabe durch die zentrale Beschaffungsstelle in der Regel eine höhere Erfolgschance verspricht. Insbesondere wenn ein Unternehmen jedoch der Meinung ist, die zentrale Beschaffungsstelle habe kein Vergaberecht angewandt, welches dem Standard der Verteidigungsrichtlinie entspricht, sollten Unternehmen die Nachprüfung der Beauftragung der zentralen Beschaffungsstelle durch einen der Mitgliedstaaten in Betracht ziehen, in deren Auftrag die Beschaffung erfolgt. Denn in diesem Rahmen lässt sich überprüfen, ob die zentrale Beschaffungsstelle über Verfahrensregeln verfügt, die dem Standard der Verteidigungsrichtlinie entsprechen.
Zusammenfassung
Die Annahme, die gemeinsame Beschaffung sei ein (vergabe-)rechtsfreier Raum, trifft nicht zu. Die EU-Mitgliedstaaten und die beschaffenden zentralen Beschaffungsstellen müssen grundsätzlich auch bei der gemeinsamen Beschaffung von Gütern oder Dienstleistungen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor das Vergaberecht beachten. Wenn Unternehmen bei Vergaben als Auftragnehmer in Betracht gezogen werden, sollten sie sicherstellen, dass die Vergabe durch die beteiligten öffentlichen Auftraggeber im Einklang mit dem geltenden Recht erfolgt. Andernfalls besteht das Risiko, dass ein Konkurrent sie anfechtet. Unternehmen, die die Auftragsvergabe an einen Wettbewerber als unrechtmäßig erachten, stehen keineswegs schutzlos da.
BLOMSTEIN wird die weiteren Entwicklungen beobachten und darüber berichten. Wenn Sie Fragen zu den möglichen Auswirkungen auf Ihr Unternehmen oder Ihre Branche haben, zögern Sie nicht, sich jederzeit an Pascal Friton und Christopher Wolters zu wenden. Die aufgeworfenen Fragen werden ausführlicher in ihrem Artikel in der European Procurement & Public Private Partnership Law Review (EPPPL 1/2020, S. 24 – 41) beantwortet. Pascal und Christopher freuen sich, ihre Erkenntnisse mit Ihnen zu teilen.