Das Eis ist gebrochen: Zugang zu OLAF-Akten für Betroffene
Fast schon unter dem Radar vollzog der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit seinem Urteil vom 30. November 2023 (C-787/22 P) eine Kehrtwende bei der europäischen Rechtsprechung zum Zugang zu OLAF-Akten. Das Gericht bestätigte in seinem Revisionsurteil, dass Betroffenen auch während einer laufenden Untersuchung Einsicht in die relevanten Dokumente der Untersuchungsakte gewährt werden muss.
Wer oder was ist eigentlich OLAF?
Doch von welcher Behörde – und ihren Akten – sprechen wir überhaupt? Bei dem Namen handelt es sich nicht etwa um eine Referenz zu einem beliebten Side-Kick aus einem ebenso bekannten Disney-Film, sondern um die Bezeichnung für das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung. „OLAF“ ist dabei das Akronym aus der französischen Benennung „office européen de lutte antifraude“. Damit handelt es sich bei OLAF, das namensgebend Betrugsfälle zum Nachteil des EU-Haushalts untersucht und sich schwerwiegendem Fehlverhalten innerhalb von Organen und Einrichtungen der Union annimmt, um ein Amt der Europäischen Kommission mit Sitz in Brüssel.
BLOMSTEIN informierte bereits ausführlich über die Organisationsstruktur, den Ablauf einer Untersuchung oder den Rechtschutz gegen OLAF-Untersuchungen und -Berichte.
Von Biodiesel zu Zugangsrechten
Das vorliegende Urteil behandelt die Revision des bosnischen Unternehmens „Sistem Ecologica“ gegen das Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom 19. Oktober 2022 (T‑81/21). Hintergrund dieses ersten Urteils war Untersuchung von OLAF hinsichtlich eines Betrugs mit in die EU eingeführtem Biodiesel. Sistem Ecologica wurde vorgeworfen, nicht wie angegeben aus altem Speiseöl generierten Biodiesel aus Bosnien und Herzegowina eingeführt zu haben, sondern Soja-Biodiesel aus den USA. In der Folge hätte die Einfuhr somit eigentlich Gegenstand von konventionellen Zöllen, Anti-Dumpingzöllen sowie Ausgleichszöllen sein müssen. Im Rahmen dieser Untersuchung hatte OLAF unter anderem den Antrag von Sistem Ecologica auf Übermittlung bestimmter Dokumente aus den Untersuchungsakten mit der Begründung abgelehnt, dass die für den Antrag einschlägige Verordnung (EU) Nr. 883/2013 (VO 883/2013) Betroffenen wie Sistem Ecologica gerade kein Recht zur Einsichtnahme einräume.
In der Ausgangsentscheidung schloss sich das EuG dieser Ansicht grundsätzlich an. Dabei betonte es, dass es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung Dragnea v Commission (C‑351/20 P) vom 13. Januar 2022 zu keinem anderen Ergebnis kommen könnte. In diesem Fall hatte sich der EuGH zu Einsicht in OLAF-Akten geäußert und es im Ergebnis als rechtfehlerhaft angesehen, dass das EuG die Nichtigkeitsklage gegen OLAFs Zugangsverweigerung in seiner Entscheidung als generell unzulässig verworfen hatte. Allerdings war der Antrag auf Akteneinsicht auch nicht von einem Betroffenen während einer laufenden OLAF-Untersuchung gestellt worden, so dass das EuG nun im Fall von System Ecologica eine Anwendbarkeit von Dragnea verneinte.
Der EuGH stärkt die Rechte Betroffener
In seinem Revisionsurteil stellt der EuGH gleich zu Beginn fest, dass OLAF grundsätzlich und ohne Zweifel für die Entscheidung über den Zugang zu Dokumenten in den Untersuchungsakten zuständig ist – ein entsprechender Antrag auf Akteneinsicht ist daher stets an OLAF zu richten.
Als entscheidend und wegweisend ist sodann die Feststellung des Gerichtshofs anzusehen, dass auch Betroffene im Sinne der VO 883/2013 während einer laufenden Untersuchung grundsätzlich die Möglichkeit der Akteneinsicht haben müssen, da weder die Verordnung selbst noch die viel zitierte Entscheidung Dragnea v Commission (C‑351/20 P) hinsichtlich der Antragsteller differenzieren. Wörtlich betont das Gericht: „Es wäre nämlich paradox, wenn ein Betroffener im Sinne dieser Bestimmung [Zusatz: VO 883/2013] im Gegensatz zu jeder anderen Person nicht in den Genuss eines etwaigen Rechts auf Zugang zu Dokumenten […] käme.“
Und was bedeutet diese Entscheidung für die Praxis?
Insgesamt ist die Entscheidung als ein positives Signal für die von einer OLAF-Untersuchung Betroffenen zu werten. Ihnen steht nun auch die Möglichkeit offen, während einer laufenden Untersuchung die Einsicht in Dokumente der Untersuchungsakte zu beantragen. Zu beachten ist allerdings, dass OLAF einen solchen Antrag mit Blick auf den Erfolg der Untersuchung ablehnen kann. Allerdings hat es dies entsprechend zu begründen. Durch die Klarstellung, dass Personen nicht aufgrund ihres Status als Betroffene im Sinne der VO 883/2013 von einer Einsichtnahme in die OLAF-Akten ausgeschlossen sind, werden deren Rechte gestärkt und die Transparenz der Untersuchungen insgesamt erhöht.
BLOMSTEIN berät Sie zu allen Fragen rund um OLAF-Untersuchungen und Compliance. Benötigen Sie rechtliche Unterstützung oder haben sonstige Fragen zu dem Themenkomplex, stehen Ihnen Dr. Roland M. Stein, Dr. Leonard von Rummel und Dr. Laura Louca hierfür jederzeit gern zur Verfügung.