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Einer oder alle?

Paradigmenwechsel bei Alleinstellungsmerkmalen

Eine Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein bestimmtes Unternehmen ohne europaweite Ausschreibung ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig. Ein in der Praxis häufig herangezogener Grund ist, dass aufgrund von Ausschließlichkeitsrechten, beispielsweise Urheberrechten, nur ein Unternehmen den Auftrag ausführen kann. Diese Möglichkeit hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer bemerkenswerten Entscheidung eingeschränkt – mit erheblichen Folgen für Unternehmen und an das Vergaberecht gebundene Auftraggeber.

Alleinstellungsmerkmale dürfen nicht dem Auftraggeber zuzurechnen sein

Der EuGH hatte über die Frage zu entscheiden, ob ein Auftraggeber auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren auch dann verzichten darf, wenn er selbst für das Ausschließlichkeitsrecht verantwortlich ist. In dem zugrunde liegenden Fall hatte sich das Unternehmen, das für den öffentlichen Auftraggeber eine Software entwickelt hat, im Vertrag die Rechte am Quellcode vorbehalten. Da die Rechte am Quellcode für die Wartung der Software benötigt werden, hat der Auftraggeber den Wartungsvertrag ebenfalls an dieses Unternehmen vergeben – außerhalb des Wettbewerbs, unter Berufung auf Ausschließlichkeitsrechte.

Der EuGH ist zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Auftraggeber nur dann auf ein wettbewerbliches Vergabeverfahren verzichten darf, wenn er nicht selbst für das Ausschließlichkeitsrecht verantwortlich ist. Zwar hat sich der EuGH in seiner Entscheidung lediglich mit den Vorschriften einer mittlerweile außer Kraft getretenen Vergaberichtlinie befasst. Es spricht jedoch alles dafür, dass die aufgestellten Maßstäbe auch auf Grundlage der heutigen Rechtslage gelten. Wir halten die Entscheidung zudem auf Alleinstellungsmerkmale aus technischen und künstlerischen Gründen für übertragbar.

Was bedeutet das konkret?

Diese Entscheidung bedeutet einen Paradigmenwechsel: Sie begrenzt die Möglichkeit zur Vergabe weiterer Verträge an den Bestandsanbieter ganz erheblich. Bislang wurde es in der deutschen Vergaberechtspraxis überwiegend für unerheblich gehalten, wie ein Alleinstellungsmerkmal entstanden ist. Dies wird sich nach der Entscheidung des EuGH ändern (müssen). Auf Grundlage der Entscheidung des EuGH dürfte trotz Vorliegens eines Alleinstellungsmerkmals insbesondere dann ein wettbewerbliches Vergabeverfahren erforderlich sein, wenn eine oder mehrere der folgenden Fallgruppen vorliegen:

  • Der Auftraggeber hat den Ursprungsvertrag, auf dem das Alleinstellungsmerkmal beruht, unter Verstoß gegen das Vergaberecht außerhalb des Wettbewerbs vergeben (rechtswidrige Direktvergabe).

  • Der Auftraggeber hat bei Abschluss des Ursprungsvertrags darauf verzichtet, sich die für Folgeaufträge erforderlichen Rechte einräumen zu lassen. Dies gilt jedoch nicht, wenn es auf dem jeweiligen Markt keine Unternehmen gab, die zur Einräumung der erforderlichen Rechten (beispielsweise Zugriff auf den Quellcode) bereit waren.

  • Der Auftraggeber hat nach Abschluss des Ursprungsvertrags nicht alle tatsächlich und wirtschaftlich möglichen Maßnahmen ergriffen, um das Alleinstellungsmerkmal zu beseitigen. Dazu gehören zum Beispiel Verhandlungen mit dem Unternehmen über die Einräumung der erforderlichen Rechte und gegebenenfalls sogar die Beendigung des bestehenden Vertrags.

Auftraggeber, die auf Grundlage von Alleinstellungsmerkmalen den Bestandsanbieter außerhalb des Wettbewerbs weiterbeauftragen wollen, müssen nachweisen, dass keine der vorstehenden Fallgruppen eingreift. Gerade bei bereits seit vielen Jahren bestehenden Alleinstellungsmerkmalen dürfte dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Gelingt der Nachweis nicht, muss ein Vergabeverfahren durchgeführt werden.

Fazit: Augen auf bei Direktvergaben

Das Urteil des EuGH reiht sich in eine Reihe aktueller Entscheidungen zu Alleinstellungsmerkmalen ein und verdeutlicht, dass Auftraggeber bei Vergaben außerhalb des Wettbewerbs vorsichtig sein müssen. Sie dürfen sich nicht auf Alleinstellungsmerkmale berufen, die sie selbst geschaffen oder aufrechterhalten haben. Bei einem Verstoß drohen erhebliche nachteilige Konsequenzen: Eine unzulässige Direktvergabe können Wettbewerber für unwirksam erklären lassen. Daher gilt nach der Entscheidung des EuGH umso mehr: Augen auf bei Direktvergaben!

Bei Fragen zur Zulässigkeit von Vergaben außerhalb des Wettbewerbs stehen Dr. Pascal Friton, Dr. Christopher Wolters, Ramona Ader und Hanna Kurtz gern zur Verfügung.