EU-UK Handels- und Kooperationsabkommen (TCA): Implementierung und substantielle Änderungen im Verhältnis EU-UK
Vier Jahre nach dem Brexit-Referendum haben sich die EU und das Vereinigte Königreich auf das EU-UK Trade and Cooperation Agreement (TCA), das das Brexit Withdrawal Agreement ergänzt, geeinigt. BLOMSTEIN präsentiert in einer mehrteiligen Serie die wichtigsten Inhalte des neuen Handelsabkommens. In Teil 1 betrachten wir, wie und in welchem zeitlichen Rahmen das TCA zustande kam sowie die wichtigsten substantiellen Änderungen im Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich.
Implementierung und Zeitschiene
Der Abschluss der Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erfolgte wenige Tage vor Ablauf der Übergangsfrist. In einem derart kurzen Zeitraum konnte augenscheinlich eine informierte parlamentarische Prüfung des Abkommens insbesondere durch das Europäische Parlament nicht sichergestellt werden – dessen Zustimmung indes erforderlich ist. Um einen chaotischen „No-Deal“-Januar ohne ein wirksames Abkommen zu verhindern, schlug die Kommission die vorläufige Anwendung des Abkommens bis zur endgültigen Entscheidung des Europäischen Parlaments vor. Dieser Vorschlag wurde von den 27 Mitgliedstaaten einstimmig angenommen.
Die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes haben nunmehr voraussichtlich bis zum 28. Februar 2021 Zeit, das über tausend Seiten lange Vertragsdokument eingehend zu prüfen und diesem zuzustimmen. Angesichts der weitreichenden negativen Konsequenzen eines „No-Deal“ ist von einer Annahme durch das Europäische Parlament auszugehen. Sollte das Europäische Parlament wider Erwarten Änderungen des Abkommens verlangen, müssten sich Vertragspartner – mit ungewissem Ausgang – wieder an den Verhandlungstisch setzen.
Mit dem Ende der Übergangszeit wird am 1. Januar 2021 auch das „Withdrawal Agreement“ vollständig und umfassend Anwendung finden. Hierin wurden reziprok Rechte von Bürgern der EU und des Vereinigten Königreiches garantiert, eine britische Einmalzahlung zur Abgeltung ihrer finanziellen Verpflichtungen als EU-Mitgliedsstaat vereinbart und Regelungen zur Vermeidung einer „harten“ Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland getroffen. Der zwischenzeitliche Wunsch des Vereinigten Königreiches, die Vereinbarung (unilateral) abzuändern, ist nach diesbezüglichen Vereinbarungen somit vorerst vom Tisch.
Substantielle Änderungen im Verhältnis EU-UK
Mit Ablauf der Übergangsphase und Implementierung des nunmehr vorliegenden Abkommens scheidet das Vereinigte Königreich vollständig aus der EU aus und genießt keinerlei Sonderrechte im Vergleich zu anderen Drittstaaten mehr. Damit verlässt das ehemalige Mitgliedsland auch den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion. Insgesamt handelt es sich bei dem Kooperationsabkommen daher weitestgehend um ein ‚klassisches‘ Freihandelsabkommen, wie es auch mit anderen Drittstaaten wie etwa Japan, Südkorea oder Kanada besteht. Diese Feststellung soll jedoch nicht unterschlagen, dass die Tiefe der durch das Abkommen gesicherten Kooperation und die Verzahnung der unterschiedlichen Rechtsrahmen im internationalen Vergleich weitestgehend einzigartig ist: Die Vertragsparteien verzichten vollständig auf die Erhebung von Zöllen und haben umfangreiche Governance-Strukturen und Konfliktlösungsmechanismen geschaffen.
Das von den Verhandlungspartnern veröffentlichte Vertragsdokument regelt das zukünftige Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auf über 1.200 Seiten. Zusätzlich zu 800 Seiten Annex und ergänzenden Protokollen, ist das Dokument auf den ersten 400 Seiten in sieben Abschnitte unterteilt. Neben „Allgemeinen und institutionellen Bestimmungen“ (Teil 1) und den „Schlussbestimmungen“ (Teil 7) beschäftigen sich die Teile 2 bis 5 mit inhaltlichen Vereinbarungen (bspw. über den Warenverkehr oder über die gemeinsame Zusammenarbeit in der Strafverfolgung), während in Teil 6 Regelungen zur Streitbeilegung vereinbart sind.
Die Vertragsparteien haben sowohl im Vertragstext selbst als auch in den Anhängen eine besondere Form der Normenbezeichnung verwendet. So werden Artikel nicht für das gesamte Dokument fortlaufend durchnummeriert. Vielmehr kommt es zu einer Ergänzung des jeweiligen Themenbereichs in der Normbenennung. So wird die erste Bestimmung im Bereich „Fischerei“ als „Article FISH.1“ (das erklärt auch die Aus-sage des britischen Premierministers Boris Johnson, das Abkommen sei „full of fish“) und die korrespondierende Norm für Energiethemen als „Article ENER.1“ bezeichnet. Entsprechendes gilt auch bei den Anhängen, die beispielsweise als „Annex ORIG-2: Product Specific Rules of Origin“ oder „Annex ROAD1: Transport of Goods by Road“ bezeichnet werden. Innerhalb der Anhänge werden die Einzelregelungen mit „Rules“, „Notes“ oder „Articles“ überschrieben, indes ohne die genannte thematische Ergänzung.
Die thematischen Überschriften im Hauptteil des Abkommens erleichtern einerseits die Bestimmung des Anwendungsbereichs einer bestimmten Norm. Andererseits führen sie zu ungewohnten und insgesamt sehr langen Verweisketten. Insgesamt zeichnet sich das Dokument – was wohl der schieren Masse an Regelungsbereichen und der Geschwindigkeit der Verhandlungen geschuldet ist – daher nicht durch eine besondere Leserlichkeit aus.
BLOMSTEIN verfolgt die außenwirtschaftsrechtlichen Auswirkungen des neuen Freihandelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich und deren Auswirkungen auf Unternehmen. Dr. Roland M. Stein und Dr. Leonard von Rummel stehen Ihnen hierfür jederzeit gern zur Verfügung.